Kerstin Rosenberg ist eine bekannte Ayurveda-Spezialistin. Seit vielen Jahren widmet sie sich intensiv dem Ayurveda und arbeitet als Ausbildungs- und Seminarleiterin. Sie ist außerdem als Autorin von vielen Büchern bekannt Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie 1992 das Mahindra-Institut – The European Academy of Ayurveda.

Wie stark ist die Idee des Fastens in anderen Kulturen verankert?

Alle alten Kulturen und traditionellen Heilmethoden kennen verschiedene Formen der Reinigung auf körperlicher und geistiger Ebene. Das Fasten ist nicht nur in unserem Kulturkreis sehr verbreitet und wird seit Jahrhunderten in den westlichen Ländern praktiziert, sondern schaut auch auf eine lange Tradition z.B. im Schamanismus oder der vedischen Kultur zurück. Ursprünglich wurde es vorwiegend aus religösen und spirituellen Gründen praktiziert, der therapeutische Einsatz kam erst später.

Welche tieferen Beweggründe stehen hinter einer Fastenzeit?

Ziel des Fasten sollte es immer sein, Altes loszulassen und Raum für Neues zu schaffen. Damit ist Fasten weit mehr, als nur auf Nahrung zu verzichten. Wir entsagen für einen vorher festgelegten Zeitraum allen äußeren Genüssen, verzichten auf körperliche Nahrung, geistige Anregung und tägliche Zerstreuung. Wir konzentrieren uns in innerer Stille und Enthaltsamkeit auf einen tiefen Reinigungsprozess, in dem wir körperlich entschlacken, unseren Stoffwechsel anregen und neue Kraft und Vitalität finden. Auf der psychischen Ebene können wir durch Fasten einen ganzheitlichen Transformationsprozess erfahren: Wir reinigen unseren Geist von allen äußeren Einflüssen, kommen in Kontakt mit unserem wahren Selbst und erhalten neue Impulse über die spirituellen Aspekte unserer Persönlichkeit. In diesem Sinne stellt Fasten eine ganzheitliche Therapiemethode dar, in der auch die rationalen, psychischen und spirituellen Behandlungsansätze des Ayurveda zu einer harmonischen Einheit verschmelzen.

Warum häufen sich die Fastenempfehlungen zum Frühjahr hin?

Ayurveda erklärt uns mit seinem Dosha- und Jahreszyklus sehr anschaulich, warum Fastenkuren im Frühjahr besonders sinnvoll sind:
Im Frühjahr ist die beste Reinigungszeit, da nun das Kapha-Dosha besonders stark ausgeprägt ist. Das starke Kapha schenkt dem Organismus die notwendige die Stabilität und Kraft, die er für eine intensive Entgiftung benötigt. Gleichzeitig ist das Frühjahr auch die Zeit, in der wir einen inneren Frühjahrsputz am allermeisten nötig haben. Über den ganzen Winter hat der Körper viel Substanz angesammelt. Dies hilft ihm, seine Immunkraft und Stabilität in der rauhen und kalten Jahreszeit zu behalten. Sobald das Frühjahr anbricht, beginnt für uns die beste Reinigungszeit, denn die wärmende Kraft der aufsteigenden Sonne „schmilzt“ die angesammelten Schlacken und bereitet sie zur Ausscheidung vor.

Geschieht dies nicht, so blockieren die Körperkanäle (Srotas) und der Stoffwechsel (Agni) wird geschwächt. Verzichten wir auf eine Reinigungskur im Frühjahr, so behält der Körper seine Kapha-Ansammlungen und wir schleppen unnötigen Balast mit uns herum. In Folge dessen leiden wir häufig an typischen Kapha-Beschwerden wie „Frühjahrsmüdigkeit“, Schweregefühl, Antriebslosigkeit und Beschwerden des Bronchial-; Nasen- und Nebenhöhlenbereichs.

Worin unterscheidet sich ayurvedisches Fasten von anderen Fastenkuren?

Im Ayurveda wird das Fasten individuell auf jeden Konstitutionstyp und seine persönlichen Bedürfnisse abgestimmt. Ob wir während des Fastens vollkommen auf Nahrung verzichten sollen oder ein Teilfasten mit speziellen Suppen vorzuziehen ist, entscheidet die Befindlichkeit des Einzelnen. Fasten ist die ideale Therapie, um einen schwachen Stoffwechsel (Agni) effektvoll anzukurbeln und toxische Substanzen (Ama) auszuscheiden. Dies funktioniert aber nur mit kurzzeitigen Fastenkuren. Wir fasten im Ayurveda grundsätzlich nur so lang, wie wir noch Appetit verspüren. Sobald der Hunger vergeht, beginnt eine sehr sanfte Schonkost, mit der wir den gesunden Aufbausprozess unseres Stoffwechsels fördern und die Zellerneuerung (Dhatvagnis) unterstützen. In den Aufbautagen wird nur sehr wenig gegessen und die Nahrung sollte nach ganz speziellen Prinzipien zusammengestellt und zubereitet werden. Eine der wichtigsten Regeln des ayurvedischen Fastens ist die „therapeutische Langeweile“. Wie auch in anderen ayurvedischen Reinigungsverfahren muss der Patient innerlich zur Ruhe kommen. Er darf weder körperliche noch geistige Anstrengung erfahren und muss allen Stress vermeiden. Von langen Spaziergängen, sportlichen Aktiviäten und arbeiten während des Fastens ist ebenfalls abzuraten. Erst wenn sich alle Bewegungen im Vata-System beruhigt haben und wir völlig entspannt sind, kann der Körper entgiften und seine Stoffwechselaktivitäten so richtig anregen. Wer nun aber denkt, man kann während des Fastens die ganze Zeit im Bett liegen und schlafen, der irrt sich gewaltig! Tagesschlaf verhindert den Reinigungsprozess und sollte strengstens gemieden werden. Statt dessen sind innere Ruhe und Gelassenheit sowie sanfte Reinigungsmethoden (Shodhana) die optimalen Begleiter in einer ganzheitlichen Fastenzeit.

Könnten Sie unseren Lesern Fasten-Tipps für zu Hause geben?

Wer zu Hause einmal eine Fastenkur machen möchte, der sollte warten, bis das Wetter wieder wärmer und sonniger wird. Optimal ist es in unseren Breitengraden im April oder Mai. Nehmen Sie sich eine Woche Zeit für sich selbst und bereiten Sie sich sorgfältig auf ihre Reinigungszeit vor, indem Sie die notwendigen Utensilien im Vorfeld besorgen und alle Termine absagen, um wirklich ungestört zu sein. Sehr gut ist es, einen Einleitungstag (zur Vorbereitung), drei Fastentage und drei Aufbautage einzuplanen. Während der ganzen Zeit sollten Sie über den Tag verteilt im halbstündigen Rhythmus warmes (abgekochtes) Wasser trinken. Selbstverständlich kann dies mit Ingwerwasser oder Entschlackungstees ergänzt werden. Wie bereits gesagt, ist reines Fasten nicht für alle Menschen geeignet. Vata- und Pitta-Konstitutionen profitieren teilweise mehr von einem Teilfasten, in dem am Mittag und am Abend eine kleine Mahlzeit gegessen wird. Klassisch wird hier eine dünne Suppe aus Reis und Mungbohnen verabreicht (Khicchari), die mit etwas Kreuzkümmel, Ingwer und Steinsalz gewürzt ist. Zum Sattessen ist das allerdings nicht, da wir pro Mahlzeit maximal eine Handvoll Nahrung zu uns nehmen sollten. In den Aufbautagen wird die Nahrungsmenge langsam gesteigert und variiert, bis wir am 4. Aufbautag bei der optimalen Nahrungsmenge von zwei Händen angelangt sind und wir die Reinigungsdiät mit unserer typgerechten Ayurveda-Ernährung austauschen. Bleiben Sie während dieser Zeit zu Hause, ruhen Sie sich aus und versuchen Sie jeden Kontakt zur Außenwelt zu vermeiden. Um den vielen Gedanken und Emotionen die beim Fasten an die Oberfläche kommen Ausdruck zu verleihen, ist es sehr schön, Tagebuch zu schreiben, meditativ zu malen oder mit Musik den feinstofflichen Körper zu nähren.

Gibt es Fälle, in denen der Ayurveda vom Fasten abraten würde?

Grundsätzlich sollten nur gesunde Menschen ohne ärztliche Aufsicht fasten. Doch auch „Gesunde“ können während des Fastens vollkommen unterschiedliche Reaktionen entwickeln. Besonders für alle Vata-Konstitutionen ist Fasten eine schwierige Therapiemethode, da sie sehr schnell an Substanz verlieren. Durch das Fasten steigt Vata erst einmal an und dies kann zu unangenehmen Nebeneffekten, wie z.B. Schwindelgefühle, Kreislaufbeschwerden, Kopfschmerzen, starkem Gewichtsverlust u.a. führen. Häufig praktizieren übergewichtige Menschen Fastenkuren, um abzunehmen. Dies ist aus ayurvedischer Sicht nicht unbedingt ratsam, da während des Fastens zwar Gewicht abgebaut wird, aber in der nachfolgenden Zeit der Gewebsaufbau um so besser und wirkungsvoller arbeitet.
Sicherlich ist für Übergewichtige kurzzeitiges Fasten eine sehr gute Methode, um ihren oft trägen Stoffwechsel anzuregen und die Ausscheidung zu fördern, doch der eigentliche Gewebsabbau muß während einer anschließenden Diät erfolgen, da der Gewichtsverlust während des Fastens nur von kurzer Dauer ist. Fasten wirkt vor allem auf die Verdauungs- und Resorbtionsfunktionen unseres Stoffwechsels ein (Jathar-agni und Buthagni) und die anschließende Ernährungs- und Kräutertherapie entscheidet über den Gewebsauf- oder -abbau (Dhatagni). So können auch Untergewichtige mit einer Teilfastenkur ihren Stoffwechsel so stärken, daß anschließend mit der richtigen Ernährung Körpermasse aufgebaut wird.

Gibt es spezielle ayurvedische Produkte, deren Verwendung Sie während des Fastens empfehlen?

Ayurvedisches Fasten ist nicht von irgendwelchen Produkten abhängig. Was das ayurvedische Fasten von anderen Methoden unterscheidet, ist die konstitutionsbezogene Abstimmung, die begleitenden Ausleitungsverfahren und die Vermeidung von allen Aktivitäten. Wer aber den therapeutischen Prozess zur Agni-Stärkung und Ama-Ausleitung unterstützen möchte, dem dienen die dafür empfohlenen ayurvedischen Nahrungsergänzungen, wie z.B. Triphala, Trikatu und Hingvastakchurna auf natürliche Weise. Die Anwendung und Dosierung sollte aber mit einem Fachmann besprochen werden. Unbedenklich für den Laien ist die Verwendung von Ingwer, Pippali und allen Agni-anregenden Teemischungen, um während des Fastens den Stoffwechsel in seinen Funktionen anzuregen. Nach dem Fasten werden aufbauende und nährende Substanzen gut aufgenommen. Aphrodisierende Gewürze, stärkende Nahrungsergänzungen und energiespendende Verjüngungsmittel (Rasayanas) wie z.B. Amla, Ashwagandha, Shatavari, Galgant oder Safran wirken nun besonders intensiv.


Heft 05 – Das Frühjahr

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