Dr. med. Sonja Uhlig:
Ich erinnere mich immer noch an die Geburt meiner Kinder, und es sind und bleiben die schönsten Tage in meinem Leben. Es ist wie ein Blick ins Paradies. Die Geburt öffnet in der Frau einen neuen Aspekt ihrer Weiblichkeit: Auch Mutter zu sein. Wenn man diese vollkommenen kleinen Wesen in den Armen hält, begreift man, welche Wunder die Natur vollbringt. So können wir auch auf die Natürlichkeit des Geburtsvorganges vertrauen. Der Ayurveda gibt wertvolle Anweisungen, wie wir den Fluss der Geburt harmonisch gestalten können.
Dr. med. Kalpana Bandecar:
Anders als in den modernen westlichen Vorstellungen verläuft eine ayurvedische Geburt unproblematisch, pünktlich zum errechneten Geburtstermin und vor allem schmerzlos – während die Frauen hier schon auf den Schmerz warten.
Mit Zunahme von aggravierten Vata steigt auch die Intensität des Schmerzes und der Komplikationen wie abnorme Geburtslagen (Mudhagarbha) oder Geburtsstillstand bei verschlossenem Muttermund. Eine häufige Ursache ist die Obstipation der Kreisenden. Das erhöhte Vata im Darm behindert das Apana Vata, die Abwärtsbewegung in den Geburtswegen. Sowohl Caraka als auch Sushruta empfehlen daher, einige Tage vor der Geburt gezielte Maßnahmen zur Vatareduktion einzuleiten. Zu diesem Zweck sollte sich die werdende Mutter ca. 2 Wochen vor dem Termin in ein Geburtshaus begeben.
Unter Anleitung erfahrener Geburtshelferinnen bekommt sie täglich Einläufe, entweder Dekokte (z.B. mit Dashamula) oder Matra-Basti mit Sesamöl. Entsprechend werden Massagen mit warmen vatareduzierenden Ölen wie Bala Tailam oder Mahanarayan Tailam am Gesäß, Becken und Hüften durchgeführt. Besondere Aufmerksamkeit bekommt der Marma-Punkt Vata-Sthanam, im Bereich des Kreuzbeines, der direkt mit dem Vata-Sitz im Dickdarm kommuniziert. Die Ernährung ist vorwiegend flüssig. Reissuppen oder Suppen mit nicht blähendem Gemüse und Fleischsuppen sind empfehlenswert. Wie auch in der gesamten Schwangerschaft spielt weiterhin die Einnahme von reichlich Milch mit verdauungsfördernden Gewürzen (Zimt, Kardamon) eine wichtige Rolle. Eigentlich logisch wenn man bedenkt, dass die Frau in wenigen Tagen selbst Milch produzieren soll. Kurz vor der Niederkunft ist absolute Ruhe wichtig. Kein hektisches Einrichten des Kinderzimmers oder nervige Einkäufe von Babywäsche, sondern ein Rundum-Verwöhnprogramm von Frauen die der Mutter gut zureden und sie beruhigen.
Die Geburtshelfer
Dr. med. Sonja Uhlig:
Die Geburt erlebt die Frau mit ihrer Hebamme und weiblichen Verwandten. Charaka schreibt: Die Betreuerin sollte erfahren und älter sein, selbst schon Kinder geboren haben, frei von Sorgen und nicht von nervösem Temperament sein. In natürlich gewachsenen Verbänden sind es immer die Frauen, die einen Menschen in die Welt begleiten. Frauen sind die Verbindungsglieder zwischen Himmel und Erde. Es ist die Feinheit ihres Nervensystems, das die Vorgänge unter der Geburt erfühlt, das auch Gefahr wahrnimmt und sie zu klarem Handeln befähigt. Die Gebärende fühlt sich behütet, wenn sie von den weiblichen Mitgliedern ihrer Familie umsorgt wird. Nichts ist ihnen fremd. Sie spürt die Kraft des weiblichen Bewusstsein in der Gruppe, die ihr Sicherheit für den Moment der Geburt gibt. Eine Gebärende, die umsorgt wird, hat immer eine leichtere Geburt. Die Natur kann wirken, ohne von der Angst blockiert zu werden.
Geburtshaus und Geburtsatmosphäre
Das Haus, in welchem ihr Baby geboren wird, sollte im optimalen Fall nach den Prinzipien des Stapatya-Veda gebaut sein. Diese Vedische Bauweise belebt die Naturgesetze so, dass die Bewohner und ihre Handlungen mit Glück belohnt werden. Mit natürlichen Materialien, Sauberkeit und hellen Farben (wichtig, um dem Kind die Orientierung zum Licht zu geben), weichem Licht und einer angenehm warmen Raumtemperatur wollen wir unser Kind begrüßen. Bei der Geburt eines Kindes ist das gesamte Geist–Körpersystem in höchster Aufruhr, sodass auch die beruhigende und ordnende Wirkung des Gandharva–Veda genutzt werden kann.
Die Geburt lässt sich aus meiner Erfahrung durch Aromen begünstigen. Der Geruchssinn sitzt nahe und direkt am Gehirn. Der Kopf ist Sitz von Prana-Vata. Es reguliert die zentralen Funktionen des Geistes wie auch die Angst. Durch die Nutzung von Vata harmonisierenden Aromen können also Prana und Apana-Vata reguliert werden. Die physiologischen Funktionen des Herzens werden ebenfalls von Prana-Vata geleitet, sodass die psycho-vegetative Situation der Gebärenden deutlich beruhigt werden kann.
Dr. med.Kalpana Bandecar:
Bei den ersten Zeichen der bevorstehenden Geburt wird im Ayurveda nochmals gezielt Vata reduziert. Es ist soweit, wenn Rückenschmerzen auftreten, häufiger Harn- und Stuhldrang, Erleichterung bei der Atmung und gleichzeitige Schwere im Unterbauch, Fruchtwasserabgang sowie schleimig, blutig tingierter Ausfluss.
Solange noch keine Wehen eingesetzt haben, wird die Frau warm gebadet und geölt. Sie bekommt einen Einlauf aus einem Dekokt aus Dillsamen, Bala, Milch, Sesamöl und einer Prise Salz. Nach der Darmentleerung kann noch ein Öl-Basti gegeben werden. Der Geburtskanal wird mit Ghee oder Sesamöl einmassiert.
Die 4 Phasen der Geburt
Dr. med. Sonja Uhlig:
Die Eröffnungsphase (Prajayini):
Wenn die Wehen beginnen, wird empfohlen, ein bequemes Lager am Boden zu bereiten, auf das sich die Gebärende setzen kann. Sie sollte jedoch weiter umherwandern und durch angenehme Gespräche unterhalten werden. Ärger, Sorgen und Ängste gilt es von ihr fern zu halten. Sie kann in dieser Phase etwas Reis mit Ghee essen.
Dr. Kalpana Bandecar:
Wenn die Wehen langsam einsetzen, kann auch die Frau mit vorsichtigem Pressen beginnen. Verboten ist das Pressen außerhalb der Wehen. Das führt nicht nur zu schneller Erschöpfung der Mutter, sondern auch zu Deformitäten beim Kind, sowie zu Taubheit.
Dr. med. Sonja Uhlig:
Übergangsphase (Upasthita prasava):
Wenn die Eröffnung des Muttermundes fast beendet, das Kind tiefer getreten – was an einer Erleichterung in der Herzgegend zu erkennen ist – werden die Wehen sehr intensiv. Jetzt sollte die Gebärende sich auf ein Bett knien. Die Helferinnen sind aufgefordert, die Frau im Geiste zu stärken. Sie kann Puder von Austha, Cardamon und Bilva oder den Rauch von Bhurja ein- und ausatmen und sich zwischen den Wehen immer wieder entspannen. Warmes, mediziniertes Öl wird leicht auf Hüften und Rücken einmassiert.
Dr.med.Kalpana Bandecar:
Im Falle eines Geburtsstillstands, sollte die Frau ein wenig umherlaufen, um das Apana Vata zu aktivieren. Auch eine Massage des Rückens und der Hüften mit Ölen aus Zimt, Ingwer, Nelken und Eisenkraut können wehenauslösend wirken. Die Frau mag auch eine Prise von Gebärmutter tonisierenden Substanzen schnupfen, wie Pulver aus Kustha, Kardamon, Kalmus, Citraka und Bilva. Ein Geburtsstillstand kann auch durch abnorme Geburtslagen verursacht sein. Eine auch in deutschen Kreissälen angewandte ayurvedische Technik ist die indische Brücke mit angehobenem Becken, bei der das Kind wieder aus dem Beckeneingang rutscht und sich normal drehen kann – insbesondere bei Steißlage (Kila) oder bei Querlage (Parigha). Das gilt auch für manuelle Wendemanöver.
Dass das Kind sich kurz vor der Geburt noch einmal dreht oder unter der Geburt mit den Händen und Füßen zuerst im Geburtskanal landet, ist ein Zeichen von erhöhtem Vata bei der Mutter.
Dr. med. Sonja Uhlig:
Pressphase (Prajayi syamana):
Wenn der Kopf des Föten in das Becken eintritt, sollte sich die Gebärende auf den Rücken legen. Die Hebamme fordert sie auf, mit dem Wehenbeginn zu pressen – nicht in der Wehenpause pressen. Die begleitende Hebamme flüstert der Frau folgenes Mantra ins Ohr:“Laß die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum Dich beschützen, lass Gott Dein Baby und dich beschützen und eine schmerzfreie Geburt haben.“ In dieser Phase werden die Vagina und der Damm in Abständen mit mediziniertem Öl massiert, sodass sie für den Durchtritt des Babys vorbereitet sind. Beim Austritt des Babys sollte die Gebärende den Anweisungen folgend mit geminderter Kraft pressen, bis das Baby vollständig geboren ist. Eine Helferin sollte ihr sagen, dass sie ein wertvolles Kind geboren hat. Das wird die Mutter mit Glück erfüllen.
Plazentarphase (Apara patana):
Das Auspressen der Plazenta kann durch die Gabe von Pasten und medizinierten Ölen gefördert werden. Sie wird durch die Entlastung von Apana Vata bei der Abgabe von Stuhl, Urin oder Flatus spontan exprimmiert. Zur Nachhilfe beim Auspressen der Plazenta kann mit der rechten Hand auf das Epigastrium gedrückt werden, mit der linken auf die Spina, bis die Plazenta durch die Kraft der Wehen herausgedrückt wird.
Dr. Kalpana Bandecar:
Es ist Vata-bedingt, wenn die Plazenta nicht oder nur unvollständig ausgeschieden wird. Sofortiges Anlegen des Babys und das manuelle Ausdrücken von der Bauchdecke sind alte Techniken. Eine weitere Möglichkeit ist, den Gaumenreflex zu nutzen, indem man mit den Haaren der Mutter den Gaumen kitzelt oder eine Paste mit irritierenden Kräutern, wie Pippali, Vidanga, Citraka und Kustha, einnimmt. Ferner könnte man die Ablösung der Nachgeburt durch einen Gebärmuttereinlauf (Uttara Basti) stimulieren mit einem Dekokt aus Senfsamen oder die Vagina mit Senföl beräuchern. Auch die letzte Möglichkeit, die Plazenta oder Reste davon manuell aus der Gebärmutter zu räumen, ist bereits in den Schriften von Sushruta beschrieben worden.
Sorge für das Neugeborene
Dr. med. Sonja Uhlig:
Während der beschriebenen Schritte zur Geburt der Plazenta, wird schon mit der Sorge für das Baby begonnen. Zunächst muss die Atmung des Neugeborenen angeregt werden, sofern es nicht spontan atmet oder schreit. Dies kann durch Geräusche oder abwechselndes Beträufeln des Gesichtchens mit kaltem und warmem Wasser erfolgen. Der Schleim muss aus dem Mund entfernt werden. Durch Ghee mit Steinsalz wird Erbrechen ausgelöst, um Fruchtwasser und Schleim abzugeben. Wichtig ist das sanfte Einreiben der großen Fontanelle mit einem in Bala-Öl getränktem Wattebausch, um das Vata beim Baby zu beruhigen. Ein Mützchen gibt dem Baby das Gefühl behütet zu sein. Entgegen der üblichen westlichen Vorgehensweise wird im Ayurveda die Nabelschnur erst durchtrennt, wenn die Erstversorgung des Babys abgeschlossen ist. Vor dem Abnabeln sollte das Kind Gold gelöst in Honig und Ghee, angereichert mit Kräutern, die das Gehirn tonisieren (Brahmi, Gold, Haritaki oder Amalaki) lutschen. Gold stimuliert das Gehirn und die vitalen Zentren. Die Gabe von Ghee ist auch in den folgenden Tagen zu empfehlen, damit sich das Kindspech leichter löst und sich der Darm des Babys schnell reinigt. Das Neugeborene sollte täglich gebadet und mit medizinierten Ölen massiert werden. Diese dienen der Beruhigung und dem besseren Gedeihen des Kindes.
Auch ein Tropfen Öl täglich in jedes Ohr und auf das Gebiet des Prozessus mastoideus ist empfehlenswert.
Sorge für die Mutter
Dr. med. Sonja Uhlig:
Sogleich nach der Geburt wird das Baby angelegt und zwar an die rechte Brust. Wenn das Kind den Mutterleib verlassen hat, verbleibt dort ein leerer Raum. Raum ist ein Element von Vata. Jetzt müssen Maßnahmen getroffen werden, um Vata wieder zu mindern. Der mütterliche Bauch wird gewickelt, um den Raum zu verkleinern. Sie bekommt warme Nahrung und wird täglich massiert. Das festigt die Gewebe und mindert Vata. Die Mutter wird warm gehalten und die Atmosphäre sollte beruhigt sein.
Dr. med. Kalpana Bandecar:
Viele dieser ayurvedischen Empfehlungen aus der Geburtshilfe lassen sich in Deutschland aus Rechtsgründen nicht umsetzen. Ungünstig ist auch, dass die Mütter hierzulande eher ängstlich sind und kurz vor der Niederkunft in den Kreissaal eilen müssen, was außerdem das Vata steigert.
Mit Sicherheit aber können die genannten Vata reduzierenden Maßnahmen vor und während der Geburt angewendet werden, um so den Schmerz und das Auftreten von Komplikationen zu vermeiden.
Heft 13 – Gesunder Schlaf
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