Thomas Müller praktiziert seit fast 25 Jahren Ayurveda – in Europa, in Japan, Thailand und Australien. Der 44-jährige gebürtige Deutsche machte seine Ausbildung in Holland und Neuseeland und hat heute eine Praxis in der bekannten Londoner Harley Street. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Panchakarma-Kur, Stress Management sowie Gesundheitserziehungsprogramme.

Herr Müller, sie haben schon in vielen Ländern gearbeitet – was unterscheidet die ayurvedische Arbeit in England von der zum Beispiel in Neuseeland?

In den 12 Jahren therapeutischer Arbeit in Neuseeland und Australien habe ich festgestellt, dass ein großer Prozentsatz der Menschen sich dort vor allem wegen der Philosophie zum Ayurveda hingezogen fühlen und davon begeistert sind. Hier in England wird der ayurvedische Rat häufig als komplementärer Ansatz zur Verbesserung der Gesundheit gesucht, weniger aufgrund der ihr zugrunde liegenden Philosophie. Die Maori, die Ureinwohner von Neuseeland, beziehungsweise die Aborigines in Australien dagegen sind bereits von Geburt an mehr mit der Natur verbunden als der typische Westeuropäer. Jedoch hapert es dort oft an der Disziplin, sich an eine ideale ayurvedische Routine zu halten.

Hier in England ist es anders: Diejenigen, die sich für Ayurveda entscheiden, nehmen in der Regel die Anweisungen und Empfehlungen ernst. In den USA – ähnlich wie in Europa und insbesondere in Deutschland – findet der Ayurveda endlich mehr und mehr Anerkennung als eine komplementäre Medizin und ist nicht nur im Wellness-Bereich bekannt. In dieser Hinsicht kann sich allerdings noch sehr viel tun hier in England.

Deutschland ist eine Art Vorreiter, wenn es um die Anerkennung des Ayurveda als eine Medizin geht. In Japan zum Beispiel wird der Ayurveda zum großen Teil als eine effektive Stressmanagement-Methode eingesetzt und beginnt sich dort zunächst hauptsächlich im Wellness und Spa-Bereich durchzusetzen. Ich finde es sehr interessant, dass der Ayurveda in den vergangenen zehn Jahren über den Westen wieder nach Indien heimgekehrt ist. Als ich vor 20 Jahren nach Indien reiste, war ich enttäuscht darüber, wie wenig Ayurveda dort eingesetzt und von der Bevölkerung in Anspruch genommen wird.

Wie sind sie eigentlich zum Ayurveda gekommen?

Früher habe ich als Regierungsbeamter bei der Post gearbeitet, konnte mir aber nicht vorstellen, das für den Rest meines Lebens zu machen. Während eines Besuches in einer der ersten Ayurveda-Kurkliniken Deutschlands im Schwarzwald hielt mir der medizinische Direktor der Klinik ein Antragsformular für den “Ayurveda-Therapeuten-Kurs” unter die Nase und sagte: „Ich denke, dieser Kurs ist genau das Richtige für Dich.” Und er behielt Recht. Mein Leben nahm von dem Zeitpunkt an eine 360-Grad-Wendung, und ich habe es bis heute nie bereut, den Schritt ins Ungewisse gewagt zu haben. Ich kann es kaum fassen, dass ich im Frühjahr 2013 bereits mein “Silbernes Jubiläum” meiner ayurvedischen Laufbahn feiern kann.

Was hat sich in den Jahren, seit sie mit Ayurveda begannen, verändert?

Es hat sich sehr viel verändert seit 1988. Ich erinnere mich noch an eine Situation kurz nach dem Mauerfall. Ich plante einen öffentlichen Vortrag über Ayurveda und Meditation im ehemaligen östlichen Teil Deutschlands. Der Vortrag kam nie zustande, doch in einer der lokalen Zeitungen wurde ein großer Artikel veröffentlicht mit dem Titel “Hexen, Gurus, Geister, Lehrer des Ayurveda und der Meditation”. Mein Name stand in Großbuchstaben auf der Titelseite. Der Artikel berichtete über alle möglichen Erkrankungen, die Ayurveda oder Meditation verursachen könnten. Darüber kann man heute nur noch lachen. Als ich nach langer Praxiszeit im Ausland vor einigen Jahren zurückkehrte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, wie weit verbreitet Ayurveda mittlerweile in Europa ist: als effektives komplementäres Gesundheitssystem und Prävention von Krankheiten.

Ihre Praxis befindet sich in der bekannten Harley Street in der Londoner City of Westminster. Diese Straße liegt in einer Gegend, die für eine große Anzahl an Ärzten bekannt ist. Wie kann sich die ayurvedische Medizin dort behaupten?

Sehr gut. Meines Wissens nach gibt es in der Harley Street nur noch eine weitere Klinik, in der Ayurveda angeboten wird. Diese wird von einem Arzt geleitet, der Ayurveda als eine von mehreren Disziplinen anbietet. In meiner Praxis arbeite ich mit einer Allgemeinärztin zusammen, die sich auf Naturheilmedizin spezialisiert hat. Wir ergänzen uns. Häufig sind während einer Konsultation gleich drei Experten präsent: die Ärztin, die den Patienten aus rein medizinischer Sicht diagnostiziert, eine weitere Kollegin arbeitet mit dem BioMeridian Screening System und ich mit der ayurvedischen Analyse. Im Team und mit Hilfe des Bio-Meridian Screening Systems wird dann gemeinsam die für den Patienten geeignetste Therapie erstellt und die effektivste Medizin ausgewählt. Dieses “Set up” ist ziemlich ungewöhnlich und viele der Patienten suchen uns gerade deswegen auf. Es ist sehr inspirierend für mich, in so einer integrierten Praxis arbeiten zu dürfen.

Wer sucht ihren Rat in London?

Zu mir kommen Patienten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Ob Angestellter, Rechtsanwalt oder Bankier. Ob prominente Persönlichkeiten wie Schauspieler, Politiker, Mitglieder der Englischen und Malaysischen Königsfamilie. Sie haben alle sehr unterschiedliche Probleme wie Beschwerden im Magen-/ Darmtrakt, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, hormonelle Störungen, Atemwegserkrankungen, Schlaflosigkeit, chronische Müdigkeit, Hauterkrankungen, emotionaler Stress oder Arthrose.

In London leben viele Inder. Sind diese dem Ayurveda zugeneigt oder eher der wissenschaftlichen Schulmedizin?

Nur wenige meiner Patienten sind indischer Abstammung. Es ist nicht einfach, von Indern als Experte im Ayurveda angesehen zu werden. Aus ihrer Sicht kommen die wahrscheinlich eher nicht aus Europa.

Was erwarten sie von der Zukunft?

Es ist wünschenswert, dass der Ayurveda global als Komplementärmedizin anerkannt wird und mehr qualitative Forschungsprojekte im ayurvedischen Bereich auf Regierungsebene unterstützt werden. Außerdem ist es insbesondere hier in England wichtig, dass Repräsentanten des Ayurveda mit vereinten Kräften zusammenarbeiten und nicht gegeneinander, wie es leider manchmal der Fall ist.


Heft 36 – Krebsprävention

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