Eine persönliche Stellungnahme von Dr. Prabha Burkhard
Es bereitet mir schon seit vielen Jahren sehr großes Vergnügen, als indische Ayurveda-Ärztin mit europäischen Patienten und Kunden zu arbeiten. Es war mir eine Ehre, bereits in Indien in einem der angesehensten Ressorts in Kontakt mit den freundlichen und offenen Europäern kommen zu dürfen. Ich hatte also schon einige Erfahrungen, als ich irgendwann in München landete und meine erste eigene Praxis eröffnen konnte.
Es macht mir nach wie vor großen Spaß, jeder Tag ist neu und spannend, und dank Ayurveda konnten wir uns in den letzten zehn Jahren über viele Erfolge freuen. Es gab und gibt allerdings auch immer wieder Herausforderungen, manchmal grundsätzliche, manchmal überraschende. Hier einige nicht immer ganz so ernst gemeinte Beispiele.
Das Paradoxon „Authentizität“
Die meisten Kunden kommen zu mir und sagen, dass sie lange nach einem Ayurveda-Arzt gesucht hätten, der die ayurvedische Wissenschaft in Indien „richtig studiert“ hätte. „Ich will traditionelles, authentisches Ayurveda“, höre ich oft.
Aber: Das Öl muss gut riechen, der Massagetisch ist zu hart, die Massage selbst sollte angenehm sein (viele Therapeuten streicheln ja eher als sie massieren), man erwartet und bittet um vollständige Ruhe, fast Totenstille – maximal das Ping-Bling eines Klangbrunnens darf die Stille stören. Als Argumentation gilt, dass „wir Europäer“ anders seien, die Nerven so angespannt wären. (Das Leben in Indien hat schon auch seinen Stress. Fahren Sie mal Auto oder Bus in Mumbai.) Durch diese ganzen Vorgaben wird aber alles oberflächlich, die tiefe Wirkung der Kräuter, der Öle und Behandlungen wird unwichtig. Ayurveda wurde der Menschheit gegeben, nicht nur den Indern. Meiner Meinung nach praktiziert man in vielen Einrichtungen Europas nur ayurvedische Ansätze und maximal Methoden, nicht aber Ayurveda.
Es gibt sogar praktische Erfindungen wie eine Shirodhara-Maschine oder ein Körperölguss durch einen Plastikschlauch. Ein Patient hat mir eine Behandlung in einer anerkannten und ansonsten sehr guten Klinik geschildert, wo das Öl wohl- und gleichtemperiert aus Edelstahlwannen gepumpt wurde, in einem vollständig sauberen, klinisch gefliesten Raum. Er fühlte sich wie in der Rechtsmedizin. Zwischen all diesen praktischen Erfindungen und Änderungen fällt die Seele des Ayurveda hindurch. Als ich die ersten Wochen in meiner deutschen Praxis saß, kamen die Leute und fragten mich nach Vata Tee, Kapha Tee und Pitta Tee. Ich konnte mir gar nicht erklären, was sie meinen. Oder was ist „ayurvedisch kochen“? Oder das „Ayurveda-Menü“ im indischen Restaurant? Ich habe vieles neu gelernt.
Die „Quiz“ Konstitutionsanalyse
In Indien interessiert es keinen Menschen, welche ayurvedische Konstitution er hat. Das ist nur wichtig für den behandelnden Arzt zur Wahl der richtigen Behandlungen, Medikamente und Ernährung. Das ist sein Job, und den soll er machen. Den Europäern scheint das aber das Wichtigste zu sein – es geht oft nur um das. „Wieviel Vata habe ich?“ „Ist mein Pitta jetzt zu hoch?“ „Wird mein Kapha darunter leiden?“ Manchmal werde ich auch getestet – richtige Quiz’ wurden da schon veranstaltet (wie ich erst danach erfuhr), in welcher Zeit ich auf das gleiche Ergebnis wie ein anderer komme.
Bloß keine Verantwortung!
Eine der besten Prinzipien des Ayurveda ist, dass jeder selbst die Verantwortung für seine Gesundheit trägt. Das ist eine der größten Lehren, die „Swasthavritha“ – Vorbeugung und Förderung der Gesundheit. Viele meiner Kunden denken aber, dass ich eine magische Kraft besitze oder Wunder vollbringen oder ihre Zukunft lesen kann. Wenn ich aber sage, sie selbst müssten etwas verändern wie z.B. ihren Lebensstil oder ihre Ernährung, dann lässt das Interesse schlagartig nach – „das geht bei mir nicht“, „ist schwierig“, „dafür habe ich keine Zeit“ usw. Es wird erwartet, dass der Ayurveda-Arzt die komplette Verantwortung übernimmt. (So macht es ja auch der Schulmediziner.) In den – Gottlob vielen – Fällen aber, in denen dieses Prinzip angepasst wird und man den Effekt spürt, dann ist das Vertrauen in und die Begeisterung für Ayurveda groß.
Der Ayurveda-Arzt als Magier
Braucht man einen Heiligenschein? Muss man leise und langsam sprechen? Aussehen wie ein Sadhu oder Yogi? Ich kenne leider einige Kollegen aus Indien, die hier ihre Shows als weise Männer oder Yogis veranstalten, in den schlimmsten Fällen aber allen ungesunden und unheiligen Versuchungen westlicher Lebensart erliegen (das viele Positive daraus nehmen sie nicht). Gut, man sollte sich angemessen kleiden und geben, aber das äußere Erscheinen ist doch unwichtig! Und alles, was wir AyurvedaÄrzte sagen oder auch mal predigen, muss man selbst leben. Diese Lebensdisziplin selbst zu praktizieren ist wichtig. Dann sieht der Patient auch die Gelassenheit, die Freude und den Frieden, den man von innen ausstrahlt. In Indien beginnt Ayurveda zu Hause.
Die klassischen Öle und Medikamente haben die gleichen Namen wie vor 6.000 Jahren. Jeder Patient, der in eine Ayurveda-Praxis kommt, hat das schon mal gehört. Nur: Was halt immer schon da ist und leicht verfügbar, ist auch nichts wert. Die Menschen – überall – suchen halt immer etwas Neues und Modernes. Das Beste ist immer noch, reines Ayurveda zu praktizieren, im eigenen Leben und ohne Vermischungen.
Kräuter im Recht-Dschungel
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Eines der großen Geschenke des Ayurveda an die Menschheit ist die große Kräuter-Heilkunde. Während des Studiums sind wir in den Wald gegangen, um die Pflanzen dort zu sehen, zu riechen und gar zu schmecken. Wir haben viel über diese Kräuter gelernt. Mein Traum ist es, diese Heilkräuter auch hier ohne jede Einschränkung für meine Patienten nutzen zu dürfen. Ich respektiere die Gesetze in Europa und natürlich speziell in Deutschland, habe aber die Hoffnung noch nicht verloren …