Der Ayurveda ist ein umfassendes traditionelles Medizinsystem, das Gesundheit und Krankheit in anderer Weise beschreibt, als es die moderne Medizin tut. Aufgrund seiner nachvollziehbaren Systematik ist aber auch der Ayurveda als ein wissenschaftliches System zu betrachten. Alles, was den Menschen nährt, kann auch eine heilende Wirkung entfalten.

„Aus der Nahrung fürwahr entstehen die Wesen, welche mit der Erde verbunden sind. Und durch die Nahrung allein leben sie. Und zu dieser gehen sie auch am Ende. Die Nahrung ist nämlich das Beste der Wesen; deshalb wird sie auch ein Heilmittel für alles genannt.“
Taittiriya Upanishad 2.2.1

In den alten Schriften wird von dem Ayurveda-Arzt Jivaka berichtet, der anlässlich seiner Abschlussprüfung in die Natur ziehen sollte, um alles zu sammeln, was keine Heilwirkung besäße. Alle anderen Schüler kamen nach einiger Zeit zurück und zeigten ihre Ergebnisse. Nur Jivaka blieb mehrere Tage aus und kam dann mit leeren Händen. Als Bester unter den Schülern wurde er ausgezeichnet; denn aus ayurvedischer Sicht gibt es nichts, was keine Heilwirkung besitzt.

Mit dieser Grundeinstellung trifft der Ayurveda heute auf eine Gesetzgebung, die Ausdruck des modernen Medizinverständnisses ist. Dabei wird streng zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln unterschieden. Lebensmittel dienen dem allgemeinen Verzehr. Arzneimittel sind hingegen Substanzen, die Eigenschaften besitzen, um Krankheiten des Menschen zu behandeln oder zu vermeiden.

Dabei geht es insbesondere um die Beeinflussung physiologischer Funktionen des Körpers.
Grundsätzlich ist dagegen auch überhaupt nichts einzuwenden; denn Ziel dieser Regelung ist es, als Arzneimittel nur das gelten zu lassen, was wirklich effektiv, sicher und in guter, gleich bleibender Qualität produziert wird. Jedes Unternehmen, das ein Arzneimittel produzieren will, muss dieses lizensieren lassen und sicherstellen, dass alle Regelungen für die Produktion strikt eingehalten werden.

So weit so gut, aber wie so oft stecken die Schwierigkeiten im Kleingedruckten, also in all den Verordnungen, die die Zulassung von Arzneimitteln immer komplizierter und damit teurer gemacht haben. Inzwischen ist es so, dass sich fast nur noch große Unternehmen die entsprechende Forschung und die Zulassung von Arzneimitteln leisten können. Diese haben sich sogar zu einem eigenen Verband zusammengeschlossen, dem „Verband der forschenden Arzneimittelhersteller“. Viele kleinere Firmen sind im „Bundesverband der pharmazeutischen Industrie“ vertreten, zu dem auch naturheilkundliche Unternehmen gehören. Die „global player“ aber haben sich von dem Hauptverband abgespalten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …

Natürlich geht es um Marktanteile und die Ausschaltung von Konkurrenz – und zwar nicht in einem offenen Markt, in dem die Menschen eigenständig entscheiden können, welche Form der Behandlung sie wünschen, sondern es werden bereits im Vorfeld die Weichen gestellt, indem viele Möglichkeiten der Behandlung von vornherein ausgegrenzt sind. Auch die Ärzte werden immer mehr in ihren Freiheiten beschnitten und müssen sich so genannten Leitlinien unterordnen, die aber häufig von den durch die großen Unternehmen zugelassenen Arzneimitteln geprägt werden.

Viele Menschen wünschen sich eine Behandlung mit natürlichen Mitteln, möglichst ohne gefährliche Nebenwirkungen, und eine dauerhafte stabile Gesundheit. Heutzutage wird die Bevölkerung zwar immer älter, sie ist aber auch immer länger chronisch krank. Aus Sicht des Ayurveda geht es in allen Lebensphasen um Wohlbefinden, Harmonie und Balance, also um eine gute Lebensqualität:

„Derjenige, der in seinem Selbst gegründet ist und geeignete Nahrung zu sich nimmt, lebt ohne Krankheit 36000 Nächte und wird von den tugendhaften Menschen geachtet.“
Caraka Samhita 1.27.348

Traditionelle Kräutermedizin

Eigentlich war es so gedacht, dass traditionelle Produkte einfacher in den Markt kommen sollten, indem eine vereinfachte Zulassung als „traditionelle Kräutermedizin“ von den Behörden geschaffen wurde. Aber auch diese hat Haken und Ösen. Nach dem aktuellen Stand kostet eine solche Zulassung mindestens 350 000 Euro mit dem Risiko, dass die Bewilligung dann doch nicht erteilt wird. Und die Zulassung selbst ist nur gültig für Erkrankungen, die keine professionelle Hilfe in der Diagnose oder der Therapie benötigen, d.h. es geht um frei verkäufliche Arzneimittel (OTC). Hier wird deutlich, dass man diesen Mitteln seitens der Behörden anscheinend nicht zutraut, auch bei ernsteren Störungen Hilfe zu bieten.

Das ayurvedische Konzept der Ernährung

Das ayurvedische Verständnis der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt, wozu auch Ernährung und Heilmittel gehören, ist ein viel Umfassenderes: Jeder Aspekt der Wirklichkeit, sei es das Klima, die Landschaft, eine künstlerische Darbietung mit wohltuenden Klängen, das Mittagessen oder eine spezielle Kräuterzubereitung, beeinflusst die Körperfunktionen, greift also in den Stoffwechsel ein.

Nach der gesetzlichen Definition wären diese Aspekte des Lebens theoretisch also alle Heilmittel und müssten extra zugelassen werden. Tatsächlich ist das natürlich nicht so. Der Gedanke soll nur zeigen, dass die Entscheidung darüber, ob etwas Heilmittel ist oder nicht, zumindest in den Grenzbereichen recht willkürlich ist.
Die Ernährung ist ein integrierter Bestandteil einer jeden ayurvedischen Therapie; denn das Essen ist der intensivste Kontakt, den wir zur Umwelt haben können. Im Rahmen des Verdauungsprozesses werden fremde Substanzen, die von außen kommen, in körpereigene Substanz verwandelt. Wir bestehen letztlich aus all dem, was uns als Nahrung in der Vergangenheit zugeführt wurde:

„Die Anwendung von wohltuender Nahrung allein ist der bewirkende Faktor für das Gedeihen des Menschen; und die Anwendung von nichtwohltuender Nahrung ist die Ursache der Krankheiten.“
Caraka Samhita 1.25.31

Genau darauf beruht das ayurvedische Gesundheitskonzept, nämlich Lebensmittel, Gewürze und Kräuter so aufeinander abzustimmen, dass die Balance der Lebensenergien Vata, Pitta und Kapha gefördert, bzw. wiederhergestellt wird. Prävention und Therapie haben also einen fließenden Übergang. Daher ist es auch gerechtfertigt, dass viele Zu-bereitungen, die in Indien rechtlich als Heilmittel gelten, in Europa Lebensmittel, Nahrungsergänzungen oder Kosmetika (äußere Anwendung) sind.

Heilsame Kräfte aus der Natur

So wie für die normalen Lebensmittel wie Reis, Gemüse und Milchprodukte die Wirkungen auf die Doshas beschrieben werden, so gilt dies auch für spezielle Kräuterzubereitungen, die die ayurvedische Tradition entwickelt hat. Das Problem ist nur, dass in diesen Bereichen kaum etwas über die gesundheitsfördernden Eigenschaften gesagt werden darf.

Das Verdauungsfeuer (Agni) spielt eine zentrale Rolle in der Gesundheitslehre des Ayurveda. Die Verdauung eines Lebensmittels kann bis zu 30 Tage dauern, d.h. umfasst aus Sicht der Klassiker alle Stoffwechselprozesse, die sich an die Verdauung im engeren Sinne anschließen. Der Einfluss, den eine aufgenommene Substanz auf den Körper hat, ist also viel komplexer, als man aus der bloßen Betrachtung von Magen und Darm schließen kann.

Zusätzlich wird die Sachlage aber dadurch erschwert, dass manche Kräuter oder Früchte als so genanntes „Novel Food“ eingeordnet werden, obwohl sie seit Jahrhunderten in Asien in Verwendung sind. Auch hier hat sich gezeigt, dass das Zulassungsverfahren sehr aufwendig ist – bei großen Unsicherheiten, ob es überhaupt zum Erfolg kommt.

Die namhaften Ayurveda-Hersteller in Europa haben große Anstrengungen unternommen, um die Produktqualität indischer Importe an die europäischen Standards anzupassen, hier findet der Verbraucher inzwischen Sicherheit, was Zusatz- und Schadstoffe angeht. Die Zertifizierung als BIO-Produkt (sechseckiges Siegel) oder als zertifizierte Naturkosmetik (BDIH-Siegel) weist solche Produkte als gründlich geprüft aus.

Nur mit gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligter – Hersteller, Therapeuten und Verbraucher – wird es möglich sein, den Ayurveda angemessen rechtlich innerhalb der Europäischen Union zu verankern. Aber uns allen ist hoffentlich bewusst, dass dieses uralte Gesundheitssystem es wert ist, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen.


Heft 24 – Heilende Pflanzen des Ayurveda

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