Die drei Doshas (Vata sprich „waata“; Pitta mit kurzem i; und Kapha wie „kaffa“) sind sicher die bekanntesten Ayurveda-Begriffe. Gemeinhin werden mit ihrer Hilfe Konstitutionstypen unterschieden, doch hinter den Doshas verbirgt sich mehr.

Bedeutung

Tatsächlich handelt es sich bei den Doshas um die zentrale Theorie der ayurvedischen Lehre. Auf ihnen fußt nicht nur die Bestimmung der (wohlgemerkt) körperlichen Konstitution, sondern vor allem ein großer Teil der Physiologie (Lehre von den Funktionen des Körpers), der Pathogenese (Lehre von der Entstehung von Krankheiten) und der Therapie des Ayurveda. Die Einteilung von Nahrungs- und Heilmittelwirkungen und die Kunst der Ausleitungsverfahren (Shodhana oder Pancakarma) kreisen um den Dosha-Begriff. Auch verschiedene grob- und feinstoffliche Einflüsse werden mittels der Doshas kategorisiert: Wirkungen von Verhaltensweisen, Tages- und Jahreszeiten, Lebensphasen, Klima und Landschaften, selbst emotionale und soziale Einflüsse.

Entstehung und Begriffe

Ursprünglich sind die Doshas aus groben Körperprodukten abgeleitet worden: Winde (Vata), Galle (Pitta) und Schleim (Kapha). Dies entspricht auch der wörtlichen Übersetzung aus der Sanskrit-Sprache. Die Doshas sind im ayurvedischen Verständnis für alle positiven und negativen Veränderungen im Körper verantwortlich. Positive Veränderungen bedeutet, dass sie alle notwendigen Körperfunktionen (Physiologie) aufrecht erhalten. Dies tun sie, wenn sie sich in einem ausgeglichenen (physiologischen) Zustand befinden.
Mit negativen Veränderungen sind alle Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen gemeint. Diese entstehen, wenn sich die Doshas in einem unausgewogenen (pathologischen) Zustand befinden. Für die Therapie sind solche krankhaften, man spricht auch von aggravierten oder erhöhten Doshas, von Bedeutung. Damit erklärt sich auch ihre Bezeichnung als Doshas, was wörtlich „Verderber, Fehler“ heißt.

Definitionen

Woran kann man nun eine physiologische (gesunde) oder pathologische (krankhafte) Ausprägung der Doshas festmachen? Betrachten wir dazu die klassische Definition. Im ersten Abschnitt (Sutrasthana) der Caraka-Samhita, dem ältesten (1.Jh.v. bis 2.Jh.n.Chr.) Text des Ayurveda, im ersten Kapitel heißt es:

Vata

Vata hat folgende Eigenschaften: Trocken, kühl, leicht, fein, beweglich, nicht-schleimig bzw. klar, sowie rauh. Von Substanzen mit Eigenschaften, die diesen entgegengesetzt sind, wird vata besänftigt. (Vers 59). In gleicher Weise (Verse 60-61) werden die anderen beiden Doshas beschrieben. Hier nur die jeweiligen Eigenschaften:

Pitta

Pitta ist etwas ölig, heiß, pene-trierend, flüssiger Aggregat-Zustand, sauer, beweglich wie eine Flüssigkeit (fließend) und scharf.

Kapha

Kapha ist schwer, kühl, weich, ölig, süß, fest und viskös bzw. schleimig.

Zwei Dinge werden an diesen Versen deutlich:

  1. ein Dosha zeigt sich anhand bestimmter Eigenschaften (Gunas), und
  2. um ein Dosha auszugleichen, muss man entgegengesetzte Eigenschaften zuführen.

Die Dosha-Aktivität lässt sich also anhand der Ausprägung ihm zugeordneter Eigenschaften im Körper erkennen; ist das Dosha überaktiv, so mehren sich diese Eigenschaften im Körper; ist es nicht aktiv genug, so verringern sie sich. Z.B. sind bei der Vata-dominierten Erkrankung Osteoporose die Eigenschaften trocken, leicht und rauh im Knochengewebe überrepräsentiert. Anders herum kann man sagen, dass sämtliche Substanzen oder Einflüsse, denen wir ausgesetzt sind, mittels ihrer spezifischen Eigenschaften die Dosha-Verhältnisse im Körper verschieben – seien es Ernährung, Verhalten, Heilmittel, klimatische oder emotionale Einflüsse.

Therapieziel

Ziel der ayurvedischen Gesundheitslehre ist es, im beständigen Wandel dieser unterschiedlichen Einflüsse immer wieder neu ein gesundes Gleichgewicht (‚Homöostase’), der Eigenschaften herzustellen. Dabei ist für jedes Körperorgan oder jeden Funktionskreis (Gewebe, Transportfunktionen, Ausscheidungen, Stoffwechselfunktionen) ein jeweils spezifisches Verhältnis als ‚normal’ oder ‚gesund’ anzusehen. Dasselbe gilt für die individuellen Anlagen (Konstitution) eines Menschen. Ein jeder reagiert auf die genannten Einflüsse anders und muss von daher anders behandelt werden. 

Pathologisch bedeutsam sind vor allem ‚erhöhte’ oder ‚aggravierte’ Doshas, also das vermehrte Auftreten von Dosha-bezogenen Eigenschaften. Entsprechend konzentriert sich die ayurvedische Therapie durch Ernährungs- und Verhaltensempfehlungen sowie durch Heilmittel, den überrepräsentierten Eigenschaften ausgleichende Maßnahmen entgegenzusetzen (shamana). Ein weiterer Ansatz besteht darin, dem Körper diejenigen Substanzen zu entziehen, deren Eigenschaften in besonderem Maße das Gleichgewicht der Doshas beeinträchtigen. Dies geschieht durch Ausleitungsverfahren (shodhana bzw. pancakarma).

Dosha-Funktionen

Betrachten wir lediglich die Hauptfunktion der Doshas: Vata steht für Bewegung (kinetische Energie); Pitta für Aufspaltung und Energiefreisetzung (kataboles, thermisches Prinzip). Kapha für Aufbau und Struktur (synthetisierendes, anaboles Prinzip). Wie sinnvoll diese Einteilung der Physiologie in drei grundlegende Bereiche ist, zeigt ein Beispiel auf Zellebene. Die Zelle gilt als die kleinste materielle Funktionseinheit unseres Körpersystems. Stellt man den Fokus grob ein, so lassen sich alle Prozesse, die im Bereich der Zelle stattfinden, in drei essentielle Bereiche einteilen: Stoffe treten in die Zelle ein. Dort werden sie aufgespalten. Energie wird frei und die Synthetisierung zelleigener Strukturen findet statt. Abfallstoffe wiederum werden ausgeschieden.
Zufuhr und Ausscheidung sind Transportprozesse oder Bewegungen, also Vata zuzuordnen. Aufspaltung und Energiegewinnung sind Pitta-bezogene Prozesse. Den Aufbau von Zellstrukturen drückt Kapha aus. Ausgehend von diesen Hauptfunktionen werden die Dosha-Funktionen im Ayurveda fein-differenziert, so dass man mit ihrer Hilfe die gesamte Physiologie und Pathologie erfassen kann.

Praktikabel

Sicher sind die obigen Beispiele allgemeiner Natur. Der Ayurveda erschöpft sich jedoch nicht in den drei Doshas. Er fußt auf einem umfangreichen theoretischen System, das bei der Erstellung einer vollständigen Diagnose eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigt. Dennoch ist die grobe Einteilung der Physiologie, Pathogenese, Symptome, Therapie und der multiplen Einflüsse auf unser Körpersystem in drei Bereiche (Doshas) sinnvoll und praktisch zugleich. Über die Ermittlung der Eigenschaften erhalten wir Aufschlüsse über die Milieuverhältnisse. Dies ist meist mittels der eigenen Sinne hinreichend möglich. Überschüssige Eigenschaften werden durch entgegengesetzte ausgeglichen und durch diese Milieukorrektur kann sich eine normale Funktion wieder einstellen. Mit einigen grundlegenden Kenntnissen über die Eigenschaften oder die Dosha-Zuordnung von Nahrungsmitteln, Heilmitteln und Verhaltensweisen kann selbst der Laie seine Befindlichkeit positiv beeinflussen und ausgeprägten Krankheitsstadien vorbeugen. Dem Arzt hilft diese grobe Einteilung dabei, die Zusammenhänge eines komplexen Falles im Auge zu behalten, unklare Krankheitsbilder positiv zu beeinflussen und – wie die klinische Praxis beweist – selbst schwere Erkrankungen zu heilen. Ob die Doshas lediglich ein praktikables Konzept darstellen, das eine Verbindung zwischen Aussen- und Innenwelt, zwischen Psyche und Körper, zwischen Diagnose und Therapie, zwischen Konstitution und individueller Störung herstellt, oder ob es reale Naturkräfte sind, bleibt an dieser Stelle eine offene Frage. Aber vielleicht entdeckt die moderne Wissenschaft eines Tages Äquivalente für die altbewährten Doshas.


Heft 02 – Massagen im Ayurveda

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