Erfahrungsbericht des Journalisten Uwe Böttger
Viele glauben, Ayurveda sei so etwas wie Wellness hoch drei. Das stimmt nicht ganz. Eine Ayurveda-Kur hat auch ihre Schattenseiten, etwa die so genannte Anfangsverschlimmerung, die sich in Kopfschmerzen, Übelkeit oder Ausschlägen bemerkbar machen kann. Mit Ayurveda kenne ich mich aus, dachte ich. Bis ich die Reise nach Sri Lanka antrat, um mir eine ayurvedische Kur zu gönnen. Mit Massagen, Kräuterbädern, ayurvedischer Medizin und Unmengen von Sesamöl wurden meine aus dem Gleichgewicht geratenen Lebensenergien wieder zurecht gerückt.
Einige Grundbegriffe wie Vata, Pitta und Kapha waren mir bereits geläufig, als ich das erste Mal singhalesischen Boden unter den Füßen hatte. Im Südwesten von Sri Lanka herrschen Tag und Nacht 32 Grad. Etwas gewöhnungsbedürftig aber ideale Vorraussetzungen für Ayurveda.
Wie es um mich bestellt ist
Wie es um meine Doshas bestellt ist, erfahre ich wenige Stunden nach meiner Ankunft in der Lotus Villa. Mein Typ ist Vata, stellt die leitende Ärztin fest. Vata und Pitta sind zu hoch, besonders Vata. Und Kapha ist abgesenkt. Außerdem sei mein Nervensystem ausgetrocknet. Das Ergebnis trägt die Ärztin mit Pfeilen in ein Formular ein und heftet es ab. Nach dieser Pulsdiagnose, die keine Minute gedauert hat, steht für mich der Ablauf der nächsten drei Wochen im wesentlichen fest.
Mein Zimmer ist schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Zur Begrüßung ist das Bett mit roten Blüten übersäht. Im Bad finde ich einen Kapuzenmantel aus braunem Cord, den hier alle Gäste tagsüber tragen. In keinem der 19 Zimmer der Lotus Villa gibt es eine Air Condition. Die Poren der Haut sollen immer offen bleiben, damit nach den Behandlungen die Gifte austreten können.
Die Kur beginnt
Noch am gleichen Tag geht es los. Zu zweit beginnen die Masseure im Gleichtakt, meine Arme, Hände, Beine und Füße mit Sesamöl einzureiben. Ihre Hände gleiten zügig über die Haut, um das Öl und die darin enthaltene, ayurvedische Medizin in das Gewebe einzubringen. Eine Stunde später sitze ich auf einem Stuhl und der Kopf wird mir massiert. Ich werde müde und rutsche in einen angenehmen Dämmerzustand. Vor dem Abendessen mache ich Bekanntschaft mit ayurvedischer Medizin, die ein Helfer in kleinen Gläschen an die Gäste verteilt. Ich kippe die dunkle Mixtur hinunter. Sie reizt zum Erbrechen, soll aber der sanften Verdauung dienen.
Der junge Mann hat noch etwas für mich: Zwei streng riechende, schwarze Pillen, in der hoteleigenen Ayurveda-Apotheke von Hand gedreht. Dazu ein Schluck Wasser damit es besser rutscht. Der Angestellte bleibt mit einem unergründlichen Lächeln so lange vor mir stehen, bis ich die Medizin hinuntergewürgt habe. Dann sucht er das nächste Opfer. Im Handbuch für die Gäste lese ich: Wir finden Sie überall.
Nicht nur die Öle und Medikamente sind auf die Dosha-Situation der Gäste zugeschnitten, auch das Essen. Jeder bekommt seinen speziellen Menüplan. Die Kellner passen auf, dass an den großen Gemeinschaftstischen niemand beim Nachbarn probiert.
Erstverschlimmerungen quälen mich
Erschöpft lege ich mich nach dem Essen aufs Bett. Nach kurzem Schlaf wache ich mit dröhnenden Kopfschmerzen wieder auf. Mein Bauch fühlt sich schwer und träge an. Übelkeit macht sich breit, die sich durch den Ölgeruch auf der Haut verstärkt. Ich dusche mich ein zweites Mal ab, worauf die Kopfschmerzen noch schlimmer werden. Die feuchte, warme Luft im Zimmer macht mir zu schaffen. Gegen vier Uhr am Morgen schlafe ich ein. Punkt sieben Uhr klopft es an der Tür. Der Medikamententräger grinst mir entgegen, auf seinem Tablett ein ganzes Arsenal von Gläschen und Pillen. Zuerst gibt es eine Munddusche, ein Schluck Kräutermix, mit dem man sich den Mund ausspült und dann ausspuckt. Kaum habe ich den Sud im Mund, würgt es mich. Die eigentlichen Medikamente kann ich nur mit Mühe bei mir behalten. Die Übelkeit vom Vortag steigt in mir hoch. Und bei der anschließenden Synchronmassage überfällt mich der bekannte Kopfschmerz wie ein Blitz. Später erklärt mir ein singhalesischen Übersetzer meine Unpässlichkeiten näher: „Die westliche Medizin killt das Symptom und versteckt die Krankheit im Körper“, fasst er zusammen. „Mit Ayurveda gehen wir an die Ursache der Krankheit heran und holen sie aus dem Körper heraus.“ Den Kopfschmerz und die Übelkeit solle ich positiv sehen. Das zeige nur, dass die Behandlungen anschlagen.
Der Duft des guten Essens, die Medikamente, das Öl – ich kann es nicht mehr riechen. Am Abend esse ich nur trockenes Toastbrot, das einzige, was ich hinunter bekomme. Am vierten Tag bin ich soweit, dass ich die Kur am liebsten abbrechen will. Die Ärztin sieht das alles sehr gelassen. Ihre Assistentin tupft mir die Stirn und die Schultern mit einem heißen Kräutersäckchen ab. Als das nicht hilft, holt sie ein Fläschchen mit Ghee, taucht eine Hanfschnur hinein, zündet sie an und lässt sie ein Weilchen brennen. Nun soll ich die Flamme ausblasen und den Rauch durch die Nase nach oben ziehen. Ich mache alles, um die Migräne los zu werden und spüre dabei einen Stich an der Schädeldecke. Nach fünf Minuten ist der Schmerz weg. Vor Dankbarkeit bin ich den Tränen nahe. Die Chefärztin strahlt mich an: „Don´t worry, it´s ok.“
Die Übelkeit dauert vier Tage, die Kopfschmerzen holen mich acht Tage lang immer wieder ein. Dann habe ich die so genannte Erstverschlimmerung überstanden. Auch andere Gäste haben ihre Probleme.
Ich kann Ayurveda wieder genießen
Ab der zweiten Woche geht es mir gut und ich kann mich wieder mit Ayurveda anfreunden. Es beginnt die Behandlungsphase. Die Kur wird zu einem besonderen Genuss. Nach den Behandlungen geht es in den hauseigenen Schwitzkasten. In der dritten Woche beginnt die Aufbauphase, die Behandlungen steuern auf einen neuen Höhepunkt zu. Beim Shirodhara wird ein warmer Ölstrahl von links nach rechts und wieder zurück über die Stirn geleitet. Ich dämmere dahin mit einem leisen Lächeln auf den Lippen.
Später erzählt mir die Ärztin, dass der Shirodara eine sehr intensive Behandlung sei und gegen alle Kopfleiden und Erkrankungen der Sinnesorgane helfe. Selbst bei Geisteskrankheiten wie der Schizophrenie werde der Stirnguss erfolgreich eingesetzt. Die Krönung der Kur ist der Ganzkörper-Ölguss. Bei dieser aufwendigsten aller ayurvedischen Behandlungen werden zwei bis drei Liter Öl verwendet, die speziell für mich aufbereitet sind. Der Therapeut führt eine mit Öl gefüllte Schüssel, die unten drei Löcher hat, über Beine, Arme, Bauch und Brust.
Später erzählt mir die Ärztin, dass der Shirodara eine sehr intensive Behandlung sei und gegen alle Kopfleiden und Erkrankungen der Sinnesorgane helfe. Selbst bei Geisteskrankheiten wie der Schizophrenie werde der Stirnguss erfolgreich eingesetzt. Die Krönung der Kur ist der Ganzkörper-Ölguss. Bei dieser aufwendigsten aller ayurvedischen Behandlungen werden zwei bis drei Liter Öl verwendet, die speziell für mich aufbereitet sind. Der Therapeut führt eine mit Öl gefüllte Schüssel, die unten drei Löcher hat, über Beine, Arme, Bauch und Brust.
Einmal noch holen mich die Kopfschmerzen ein. Beim Siro Verechana wird mir zuerst ein Handtuch wie eine oben offene Krone um den Kopf gewickelt. Dann wird in die Öffnung ein Brei aus Kräutern und Samen eingefüllt, der zwei Stunden einwirken muss. Ich weiß nicht, was diese lauwarme Mahlzeit auf meinen Haaren bewirken soll, aber schon nach zehn Minuten plagt mich ein drückender Schmerz von der Schädeldecke durch das rechte Auge bis hin zur Wange. Ich setze mich hin, schaue auf den Ozean, laufe in der Anlage auf und ab und warte auf meine Erlösung. Als ich endlich im Beisein einer Angestellten den Brei mit einer tiefen Verbeugung loswerde, scheint der Kopfschmerz im selben Augenblick mit in die Tonne zu fallen. Ich bin sprachlos.
Langfristig im Gleichgewicht bleiben
Am letzten Tag meines Aufenthalts werden die Poren mit einem kühlen Blütenbad wieder geschlossen. Danach gehe ich zur Ärztin in den Pavillion. Sie legt ein letztes Mal Hand an. Vata, Pitta und Kapha seien jetzt in Ordnung. Doch da das System noch etwas anfällig ist, gibt es Medizin mit auf die Reise. Die Ärztin verabschiedet sich mit dem Gruß Ayubovan, zu deutsch „Leb lang“. Meine Ayurveda-Kur ist zu Ende. Nach rund 90 Behandlungen trete ich die Heimreise an. Noch ein paar freie Tage zuhause, dann holt mich wieder der Alltag ein. An dieser Stelle entscheidet sich, ob eine Kur langfristig etwas bringt oder nicht. Lasse ich mich gleich wieder anstecken von der allgemeinen Hektik am Arbeitsplatz?
Trinke ich wieder Kaffee am späten Abend? Lasse ich das Mittagessen in der Kantine ausfallen und schlage mir stattdessen am Abend den Bauch voll? Wenn ich gleich in den alten Trott verfalle, dann hat sich der Aufwand kaum gelohnt. Doch ich kann versuchen, mein Leben ein wenig zu ändern, besser auf meine Nahrung, meinen Schlaf und meine Gedanken zu achten. Dann entfaltet Ayurveda seine heilende Kraft. Die Wahl liegt bei mir.
Heft 16 – Yoga und Ayurveda
Dieses Heft ist leider nicht mehr verfügbar.