Herstellung von Ghee
Während meiner Zeit in Indien behielt ich eine kleine Wohnung bei einer Bergbauernfamilie im Appenzeller Hinterland. Neun Milchkühe, zwei Mutterschweine, ein Bless (Appenzeller Hütehund) und eine Katze bildeten die Grundlage ihres Einkommens. Wie viel Milch die Bauern in der Molkerei abgeben dürfen, wird auch heute durch eine strenge Quote geregelt. Die Kühe halten sich natürlich nicht daran. An Tagen, wo mehr Milch anfiel, stellte die Bäuerin aus der überschüssigen Milch eingesottene Butter her. Zu diesem Zweck nutzte sie eine handbetriebene Zentrifuge, um die Milch zu entrahmen. Den Rahm säuerte sie mit etwas Joghurt an und ließ diesen über Nacht im kühlen Keller stehen. Am nächsten Morgen gab sie die Mischung ins Butterfass und nahm es in Betrieb, bis sich die Butter von der Buttermilch trennte.
Die Buttermilch sowie die entrahmte Milch wurden mit dem Schweinefutter vermischt und verfüttert. Die Butter aber gab sie in einen Wok auf ihrem Holzherd und kochte sie aus.Die verbliebenen Wasseranteile verdampften, das Kasein (Proteinbestandteile) flockte aus und wurde abgeschöpft. Übrig blieb das goldgelbe Butterschmalz. Ein äußerst wertvolles Nahrungsmittel – die Crème de la Crème der Milch –, das im kühlen Keller 18 Monate aufbewahrt werden kann. In allen Kulturen, in denen Milchwirtschaft betrieben wurde oder wird, finden wir Varianten der Ghee-Herstellung.
Die ökonomische Bedeutung war immens, denn die Milch konnte auf diese Art und Weise gelagert, transportiert und gehandelt werden. Bedingt durch die klimatischen Verhältnisse weicht im auch heute ländlich geprägten Indien die Herstellung etwas vom oben beschriebenen Beispiel ab. Frische Milch wird dreimal kurz abgekocht, um eventuell vorhandene Keime unschädlich zu machen. Nach dem Abkühlen auf unter 40° Celsius wird etwas frischer Joghurt eingerührt. Der Topf wird mit einem Tuch abgedeckt und bei Raumtemperatur (24–30°) über Nacht ruhen gelassen. Dem daraus entstandenen frischen Joghurt wird am nächsten Tag etwas Wasser beigemischt und gequirlt. Ziemlich bald beginnt die klare, weiße Butter an der Oberfläche zu schwimmen. Sie wird abgeschöpft und gleich im Wok erhitzt. Danach ist der Prozess der gleiche wie bereits beschrieben
Ghee und der Stoffwechsel
Ghee ist ein Naturprodukt, und so weichen Geschmack, Farbe, Geruch und Inhaltsstoffe je nach Region, Jahreszeit, Fütterung, Haltung, Kuhrassen und weiteren Faktoren voneinander ab. Die ayurvedischen Klassiker gehen sogar so weit, dass sie unterscheiden zwischen der Milch, die am frühen Morgen gemolken wird (und bedingt durch die Nachtruhe der Kühe viel schwerer zu verdauen ist und deshalb nicht empfohlen wird) und derjenigen, die am Abend gewonnen wird, nachdem die Kühe von der Weide heimkehren. Letztere ist leichter und damit bekömmlich und für den menschlichen Verzehr geeignet. Das beantwortet auch gleich die große Kontroverse, die heute über Kuhmilch geführt wird. Milch und Ghee vermehren ohne Wenn und Aber Kapha, was ja wünschenswert ist, aber sie sind damit auch schwer zu verstoffwechseln. Betrachtet man die aktuelle industrielle Massentierhaltung in unnatürlicher Umgebung sowie Weiterverarbeitungsmethoden wie z. B. Homogenisierung, dann sind die Milch und das daraus produzierte Butterschmalz nur sehr eingeschränkt zu empfehlen.
Cholesterin, Fett und andere wichtige Bestandteile
Dass Ghee kein Cholesterin enthält, ist Wunschdenken und falsch. Fakt ist: 100 g Ghee enthalten im Durchschnitt 264 mg Cholesterin, 99,5 g Fett – davon 62,65 g gesättigte Fettsäuren, 26,88 g einfach ungesättigte Fettsäuren und 2,25 g mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Bei den Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen birgt Ghee eine regelgerechte Schatztruhe: Vitamin E 3,6 mg, a-Tocopherol 3,6 mg, Vitamin D 1,6 mg, Vitamin A Retinol 0,85 mg, Chlorid 28 mg, Kupfer 10 mg, Kalzium 6 mg, Kalium 3 mg, Natrium 2 mg, Magnesium 1 mg, Zink 0,18 mg, Lysin 18 mg, Tyrosin 12 mg und die Vorstufe des Glückshormons Serotonin, nämlich Tryptophan, 3 mg.
Ghee als Nahrungsmittel
Im täglichen Speiseplan hat Ghee für Vata-, Vata-Pitta- und Pitta-Konstitutionen einen festen Platz, weil es Vata- und Pitta-Dosha reguliert. Vom Geschmack (Rasa) her ist es süß. Die energetische Wirkung (Virya) ist kühlend und die Haupteigenschaften sind schwer und ölig. Es vermehrt Fett und Kapha. Der Rauchpunkt liegt bei 205° Celsius. Deshalb eignet sich Butterschmalz hervorragend zum Braten. Dabei hinterlässt es keinen Eigengeschmack, sondern wirkt als Geschmacksverstärker. Spitzenköche in Ost und West wissen diese Eigenschaft zu schätzen.
Vorsicht ist für Pitta-Konstitutionen geboten: Sie sollten auf in Ghee gebackene Speisen verzichten oder nur gelegentlich kleine Mengen davon verzehren. Personen mit überhöhten Cholesterinwerten sollten Ghee generell durch Olivenöl ersetzen.
Ghee in der medizinischen Praxis
Unter allen tierischen Fetten ist Ghee das Vorzüglichste. Ayurvedische Therapien können auf Ghee nicht verzichten. Zu umfangreich ist der Nutzen bei vielen schwer zu behandelnden Erkrankungen. Damit sind vor allem die neuropsychiatrischen Beschwerden gemeint. Ghee verbessert Intellekt, Gedächtnis, Verdauungskraft, Fruchtbarkeit, Immun- und Sehkraft. Es wird eingesetzt bei verschiedenen Geisteskrankheiten, die durch Vata, Pitta oder Kapha verursacht wurden. Es hilft bei Auszehrung, Schwächezuständen und Vergiftungserscheinungen.
Ghee, das über drei Jahre gelagert wurde, wirkt besonders gut bei chronischer Erkältung, Asthma, Katarakt, Schwindel, chronischen Hauterkrankungen, brennenden Schmerzen, Koliken in den weiblichen Fortpflanzungsorganen, Ödemen, Geschwüren, Fieber und besänftigt Vata, Pitta und Kapha. Kontraindiziert ist Ghee bei Alkoholismus, bei chronischer Verstopfung, bei Magersucht, Tuberkulose und Ama-Zuständen. Unbedingt erwähnenswert ist die äußerliche Anwendung von Ghee bei Verbrennungen, zur Wundbehandlung, z. B. nach Schröpfen, Aderlass oder Blutegelbehandlungen, sowie als Augentropfen. In der Tiermedizin können nach chirurgischen Eingriffen zur schnelleren Abheilung die Wunden mit Ghee eingestrichen werden. Pfoten können bei Verletzungen, Bisswunden oder Salzstreuung durch wiederholtes Auftragen von Ghee geschützt werden.
Augenbäder mit reinem Ghee oder arzneilichem Ghee helfen wirksam bei trockenen Augen, Sicca-Syndrom, degenerativen Erkrankungen des Sehnervs, psychosomatischen Erkrankungen des Auges, Sehstörungen ausgelöst durch toxische Substanzen, Netzhauterkrankungen, Kurzsichtigkeit, Erkrankungen der Lederhaut, allergischer oder chronischer Konjunktivitis, Gerstenkorn oder prophylaktisch bei müden Augen.
Ghee trinken bei Panchakarma
Viele Menschen fürchten sich vor Panchakarma, weil sie gehört haben, dass man dabei riesige Mengen von Ghee trinken müsse. Eigentlich gibt es keinen Grund für diese Angst, denn einerseits kommen auch rein pflanzliche oder arzneiliche Öle zum Einsatz und andererseits wird die Dosierung sehr individuell angepasst. Auch Menschen mit erhöhten Blutfettwerten oder mit Übergewicht können eine zur Ausleitung vorbereitende Ghee- bzw. Ölkur machen. Der Trick dabei ist, dass die innere Ölung minimal drei Tage und maximal sieben Tage dauern darf.
Praktische Tipps für den Alltag
- Wenn Sie mit Feuer arbeiten – ob als Koch, Bäcker, Schmied oder Therapeut, dann halten Sie immer etwas Ghee in Griffnähe. Sollte es zu Verbrennungen kommen, dann geben Sie keinesfalls kaltes Wasser darauf, sondern tragen sofort üppig Ghee auf die Wunde auf. Das kühlt und reduziert die Folgen der Verbrennung deutlich.
- Bei brennenden, irritierten, trockenen, übermüdeten Augen oder bei einem Gerstenkorn geben Sie direkt vor dem Schlafengehen je zwei Tropfen Ghee in jedes Auge. Löschen Sie gleich danach das Licht.
- Bei Verstopfung oder Einschlafstörungen ist eine Tasse heiße Gewürzmilch mit geriebenem Kardamom und Sternanis empfehlenswert. Geben Sie dann einen oder zwei Teelöffel Ghee dazu.
- Wenn Ihr Essen zu scharf geworden ist, dann träufeln Sie etwas frischen Zitronensaft und Ghee auf die Speisen.
- Insgesamt gilt Ghee im Ayurveda als ein stark sattvisches Nahrungsmittel. Es spielt daher eine bedeutende Rolle sowohl in der Diätetik als auch bei der Behandlung verschiedener neuropsychiatrischer Störungen.
Heft 50 – Strahlende Haut
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