Den traditionsverbundenen Heilern und Medizinern des indischen Subkontinents haben wir es zu verdanken, dass die wichtigsten klinischen Errungenschaften des Ayurveda sowie deren Arbeitsmodelle nicht nur überlebt haben, sondern ständig weiterentwickelt wurden. Dieses Wissen war von der Antike bis in die Neuzeit gefragt und so strahlte es von den Hellenen in den arabischen Raum und von dort ins europäische Mittelalter, wurde in der Renaissance neu aufgegriffen und während der Aufklärung weiter verbreitet. Die erste wissenschaftliche Arbeit über Ayurveda an einer europäischen Universität, nämlich in Strassburg, stammt von Gustave Liétard. An Hand einer 1840 publizierten lateinischen Ausgabe der Sushruta Samhita verglich er das medizinische Ethikverständnis des Autors Sushruta mit der von Hippokrates. In Asien wanderte Ayurveda mit der Ausbreitung des Buddhismus von Sri Lanka nach Indochina und von Tibet nach China und in die Mongolei.

Trotz der eben aufgezeigten Universalität von Ayurveda kann das heutige Indien zu Recht als Wiege von Ayurveda bezeichnet werden. Leider musste Ayurveda aber auch hier seit dem 17. Jahrhundert hinnehmen, dass es sowohl von den Kolonialherren verschmäht, wie auch von den Gründern des modernen, unabhängigen Indiens als unmodern eingestuft und deshalb unzureichend gefördert wurde.

Wer es wegen den Zugangsbeschränkungen nicht schaffte, einen Studienplatz für moderne Medizin (Allopathie) zu ergattern, der studierte Ayurveda. Dank wirklich herausragender Persönlichkeiten wie Pandit Shiv Sharma (Mumbai), Prof. Udupa und Prof. Dwarkanath (beide Benares Hindu University), die Gebrüder Warrior (Kottakal) und Prof. Bhagavan Dash (Delhi) und anderer, die sich unermüdlich für eine bessere Anerkennung von Ayurveda bemühten, wurde das Blatt in Indien schließlich gewendet.

Wer heute zur Behandlung ins Ursprungsland des Ayurveda reisen möchte, muss sich vorerst überlegen, ob ihr oder sein Ziel die Heilung einer Erkrankung oder die Erhaltung der Gesundheit ist. Letzteres fällt in die Kategorie des Gesundheitstourismus und Ersteres macht den Aufenthalt in einem klinischen Betrieb notwendig. Diese Differenzierung ist zwingend; denn sowohl sind die touristischen Betriebe bei chronischen Fällen klar überfordert, als auch die klinischen für die Anforderungen an die von Europäern erwarteten Hotellerie-Standards.

Werfen wir einen Blick auf die Situation beim Gesundheitstourismus: Wenn Erholung, Auftanken, Entschlacken, Verbesserung von Immunität und Vitalität das Thema sind, dann müssen folgende Kriterien einfach stimmen:

Lage

Der Betrieb darf nicht weiter als 2 Stunden von einem internationalen Flughafen liegen und nicht notwendig machen, dass Sie von Europa aus mehr als einmal umsteigen müssen. Kerala hat hier die Nase vorn, denn dieses kleine Bundesland im äussersten Südwesten Indiens besitzt gleich 3 internationale Flughäfen: Trivandrum, Cochin und Calicut, die auch – falls Sie Mumbai oder Delhi anfliegen, mit diesen gut verbunden sind. Der touristische Betrieb sollte direkt am Meer oder falls nicht auf über 1000 Meter Seehöhe liegen. Am Strand weht immer ein kühlender Wind, während im Landesinnern die Hitze für Europäer die meiste Zeit über schlicht nicht auszuhalten ist. Sich in klimatisierten Räumen zu verbarrikadieren ist keine Lösung und der Behandlung unzuträglich. Für die klinischen Betriebe gilt diese Einschränkung nicht.

Vor ein paar Tagen wurde eine 60 Betten Pancakarma Privatklinik in Trivandrum eröffnet, die direkt der dortigen medizinischen Universitätsklinik angegliedert wurde. sie soll das Bedürfnis nach kompetenter ärztlicher Behandlung mit dem Komfort einer Privatklinik, der von einer gehobenen urbanen indischen Klientel sowie ausländischen Gästen erwartet wird, verbinden. Der Rektor dieser Privatklinik ist Prof. Vinodkumar, ein ausgewiesener Kliniker.

Die Ayurveda Kliniken in Trivandrum sind mit über 1200 Betten und mit täglich 800 bis 1000 ambulanten Patienten wohl der weltweit grösste klinische Betrieb für Ayurveda. Im Gegensatz dazu sind in den touristischen Betrieben die Gäste ausserhalb ihrer Behandlungszeiten auf sich alleine gestellt. Vor allem was die psychologische Betreuung anbetrifft, besteht ein mächtiges Defizit. Aber grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Ayurveda Ärztinnen und Ärzte auch in den touristischen Betrieben Fachkompetenz vorweisen können. Nur haben sie nicht die nötige Infrastruktur, um einen klinischen Betrieb führen zu können.

Sprache

Hier liegt das grösste Handicap für beide Arten der Betriebe. Wer seine Beschwerden nicht in englischer Sprache ausdrücken kann, wird diese auch nicht optimal behandelt bekommen. Falls Übersetzerinnen vor Ort sind, so ist es sehr fraglich, ob diese genügend medizinische Kenntnisse besitzen, um die Symptome auch richtig zu schildern und umgekehrt die ärztlichen Ratschläge verständlich weiterzugeben.

Dauer des Aufenthalts

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den touristischen Betrieben liegt bei 12 Tagen. Das schränkt den ärztlichen Handlungsspielraum stark ein. Ausleitende Massnahmen sind bei dieser Dauer nur eingeschränkt möglich. Wer mit einem gesundheitlichen Problem nach Indien reist, sollte sich 21 bis 28 Tage Zeit nehmen. In klinischen Betrieben kann es auch länger dauern.

Meine Empfehlung: Einige Ayurveda-Ärzte in Europa arbeiten sowohl mit klinischen wie auch touristischen Betrieben in Indien und Sri Lanka zusammen. Deshalb empfehle ich, dass alle, die ins Ursprungsland reisen und ein therapeutisches Ziel damit verfolgen, sich von einem kompetenten Ayurveda-Arzt im Wohnsitzland beraten lassen. So kann eine Vor- wie auch eine Nachbehandlung durchgeführt werden, denn mit einer Pancakarma-Kur allein ist es nicht getan. In solchen Fällen ist ein Bericht an den leitenden Arzt sehr wichtig mit einer Diagnose, Vorbehandlung und den Empfehlungen für die Kur. Nach der Kur sollte ein Abschlussbericht mit dem Verlauf während der Kur in Indien und den weiteren Empfehlungen des Kollegen vorliegen. Das ist eine win-win Situation für alle Beteiligten; denn eine ganzheitliche und umfassende Betreuung ist ein Herzstück des Ayurveda.