Als ich frisch verheiratet war und dank der Begeisterung meiner Frau vor genau 16 Jahren etwas skeptisch zu meinem ersten Tagesseminar über bretonische Meeresalgen nach Saarbrücken fuhr, kannte ich Algen nur als „grünes Gift“ und eine lästige Plage an mediterranen Stränden. In wenigen Stunden wurde ich eines Besseren belehrt, und es entwickelte sich eine wahre Lovestory, die bis heute anhält. Europas damals bedeutendste Algenexpertin Mireille Gouillou (1935 – 2008) führte mich in den Folgejahren in die Wissenschaft der Algologie und Meeresheilkunde (Thalasso) ein und war als begnadete Algenköchin in Deutschland und Frankreich berühmt.

Meeresalgen sind genussvolle Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte. Sie können als Lebensmittel oder als Nahrungsergänzung täglich verzehrt werden. Japan ist das Algen-Mekka der Welt: 65 Kilo Meeresalgen verzehrt der Durchschnittsjapaner jährlich. Zum Vergleich: In Deutschland konsumiert man weniger als 1 Kilo und das vorrangig in Form von natürlichen Zusatzstoffen (E400-407) als Gelier- oder Verdickungsmittel wie Agar-Agar oder Carrageen. Das Algenzentrum Europas liegt in der französischen Bretagne. In der makrobiotischen Küche hat das Meeresgemüse einen festen Platz und wurde damit auch in europäischen Insiderkreisen bekannt. Bioläden führen einzelne Trockenalgen, der Nori-Algenmantel von Sushi erfreut sich zunehmender Beliebtheit, und Feinkosthändler bieten seit Jahren köstliche Salate aus frischen Meeresalgen an. Im klassischen Ayurveda war der Einsatz von Algen weitgehend unbekannt. Aus heutiger Sicht passen Algen perfekt in die moderne ayurvedische Ernährung. Im Biohandel werden Trockenalgen und Frischalgentartare angeboten.

Eine kleine Algenkunde

Schon der berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates (460 – 370 v. Chr.), wusste: „Alles Leben stammt aus dem Meer, und wer sich dem Meer öffnet, findet Anregung und Entspannung. Wer die Schätze des Meeres erschließt und zu nutzen weiß, dem liefert es Nahrung und Wohlbefinden.“ Wie wahr!
Algen sind weltweit verbreitete, photosynthetisierende Pflanzen: von mikroskopisch kleinen einzelligen Lebewesen (Diatomeen) bis zu riesigen 30 bis 60 Meter langen Tangen (Macrocystis pyrifera). Sie treiben meist völlig losgelöst im Meer dahin. Meeresalgen sind vorwiegend Makroalgen, Süßwasseralgen wie Spirulina oder Chlorella aufgrund ihrer Größe Mikroalgen. Aus therapeutischer Sicht sind Meeresalgen den Süßwasseralgen überlegen. 30.000 Algenarten sind bekannt, aber nur etwa 800 gründlich erforscht. Etwa drei Viertel des jährlichen Pflanzenwachstums auf unserer Erde bezieht sich auf Meerespflanzen, in erster Linie auf Algen. Die Qualität von Algen hängt von der Tiefe und Zusammensetzung des Meer- oder Seewassers ab. Höchste Qualität und Reinheit finden wir in kalten Meeren mit starker Strömung und daher mehr Sauerstoff.

Der Erntezeitpunkt wird für jede Algensorte einzeln festgelegt, geerntet wird meist im Frühjahr. Professionelle Algenfischer mit offizieller Genehmigung ernten die Algen von Hand oder mit speziell ausgestatteten Algenbooten. Wenige Sorten müssen bei starker Strömung sogar von Tauchern in der Tiefe gewonnen werden. Die Erntezonen der Bio-Algen werden von den Wasserbehörden kontrolliert. Die Bewirtschaftung der Erntezone mithilfe eines Lastenhefts und Praxishandbuchs trägt zur Erhaltung der Ressourcen bei. Die Algen werden verlesen und in einer Luftperlenanlage mit Meerwasser gewaschen. Getrocknete Meeresalgen bestehen gemäß einer Mittelwertanalyse aus 10 % Wasser, 70 % organischen Substanzen und 20 % mineralischen Substanzen.
Ihr unglaublicher Mikronährstoffcocktail besteht vor allem aus Aminosäuren, Vitaminen, Makro- und Spurenelementen und Pigmenten – und das Ganze bei nur 4 % Lipiden. Somit stellen Meeresalgen eine exzellente Nahrungsergänzung für Übergewichtige sowie Vegetarier und Veganer dar, die zu manchen Mikronährstoffmängeln neigen können. Algen sind basenbildend und damit bei Übersäuerung, vor allem durch hohen Fleischkonsum bedingt, ausgleichend wirksam.

Jod in Algen

Alles, was aus dem Meer kommt, enthält Jod. Jod ist ein essenzielles Spurenelement, das in Deutschland in zu geringen Mengen im Boden vorkommt. Die wichtigste Folge eines chronischen Jodmangels ist die kompensatorische diffuse Vergrößerung der Schilddrüse, die als Struma bezeichnet wird. Über Jahre können so knotiger Umbau, zystische Veränderungen oder Verkalkungen entstehen. Dem Jodmangel wird in Deutschland seit über 20 Jahren durch eine Jodprophylaxe, bestehend aus einer synthetischen Jodierung von Speisesalz und landwirtschaftlichen Futtermitteln, begegnet. Dabei könnten Meeresalgen, die große Mengen an natürlichem Jod enthalten, den Bedarf problemlos decken. Gemäß WHO liegt der tägliche Jodbedarf des Erwachsenen bei 150 bis 250 Mikrogramm bzw. 0,2 Milligramm. Ein übermäßiger und unachtsamer Konsum jodreicher Algen ist daher zu vermeiden. Berücksichtigen Sie daher bitte die genannten Empfehlungen:

  • Verwenden Sie Meeresalgen sparsam wie Gewürze. Die empfohlene Tageshöchstmenge für gesunde Erwachsene beträgt ein Gramm Trockenalgen (ca. ein Teelöffel) bzw. acht Gramm Frischalgen (ca. ein Esslöffel).
  • Wenn Sie an einer Schilddrüsenerkrankung leiden, fragen Sie vor dem Verzehr von Meeresalgen bitte Ihren Arzt oder kundigen Therapeuten nach der Unbedenklichkeit.
  • Absolute Kontraindikationen für den Verzehr von Meeresalgen sind alle Arten von Schild-drüsenüberfunktionen oder eine bestehende Jodallergie. Hier gilt die Regel: bitte meiden! Eine alternative Möglichkeit besteht im Einsatz von Süßwasseralgen, die nahezu jodfrei sind.
  • Reduzieren Sie an Tagen des Algenverzehrs den Konsum anderer jodhaltiger Lebensmittel wie Meeresfisch, Jodsalz oder Jod in Fertignahrung.

Meeresalgen in der Heilkunde

Das CEVA (Centre d’Etude et de Valorisation des Algues) ist das führende Algenforschungsinstitut Europas mit Sitz in Pleubian im äußersten Norden der Bretagne – natürlich direkt am Meer. Mein Besuch im Jahr 2014 zeigte mir deutlich, wie viel Wissen über die Heilkraft von Meeresalgen bereits existiert – und wie wertvoll eine intensivierte Forschung ist. Einzelne Meeresalgen wirken remineralisierend, regenerierend, blutdrucksenkend, cholesterinsenkend, antioxidativ, antimikrobiell und immunstärkend. Die Schleimstoffe in den Zellwänden (Algine) helfen bei der Ausleitung von Schwermetallen und können radioaktives Material wie Strontium 90 binden.

Die ayurvedische Dimension

Das Außergewöhnliche an Meeresalgen ist aus ayurvedischer Sicht ihre Fähigkeit, zeitgleich durch die Zufuhr feinster Nährstoffe zu versorgen und unerwünschte Rückstände zu entsorgen. Entsalzt wirken sie kühlend und befeuchtend, mit natürlichem Salzanteil nachhaltig wärmend. Somit können sie für alle drei Dosha-Dominanzen hilfreich sein. Die Versorgung kommt allen Geweben (Dhatu) und dem Aufbau von Ojas zugute. Die Entsorgung hilft bei überschüssigem Kapha, Ama, Wassereinlagerungen und Verdauungsschwäche. Algen reinigen das Blut und sind eine wertvolle Ergänzung bei entzündlichen
Prozessen. Öffnen Sie sich für eine neue Erfahrung von Genuss und Gesundheit – in Paris haben Algenspezialitäten längst die Gourmet-Tempel erreicht. Sie kommen in Salaten, als Dips, Brotaufstriche oder Meeresgemüse zu Reis und Nudeln zum Einsatz. Lösen Sie sich dabei von der Idee eines „Fischgeschmacks“ – Algen riechen und schmecken nach der Weite, Reinheit und Klarheit des Meeres. Und genau diese Wirkung können Sie erleben.


Heft 55 – Yoga & Ayurveda

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Schwerpunkt Yoga & Ayurveda.