Panikattacken – die moderne Vata-Störung – wird immer häufiger in ayurvedischen Praxen behandelt. Mit ausgleichenden Maßnahmen kann einiges gegen Angstanfälle erreicht werden.

Ich kann nicht mehr Auto fahren – urplötzlich überkommen mich dabei unkontrollierbare Ängste, mein Herz fängt an zu jagen, und ich bekomme Todesängste – ohne jeden Grund. An Flugreisen oder Ähnliches ist erst recht nicht zu denken! Und das Schlimmste ist, es überfällt mich immer öfter.

Panikstörungen auf dem Vormarsch

Zirka vier Prozent aller Menschen, zeigen aktuelle Statistiken, erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Panikstörung. Zunehmend treten Panikattacken ebenfalls in jüngeren Altersklassen auf. So wird diese intensive Störung des Vata-Dosha auch immer häufiger in der ayurvedischen Praxis gesehen. Das vegetative Nervensystem rebelliert, die klassische Panikattacke kann mit folgenden Zeichen einhergehen: vegetative Übererregung mit Schwitzen, Unruhe, Ängsten, gepaart mit Zittern, Engegefühl, Herzrasen und panikhaft vertiefter und beschleunigter Atmung.

Für die Patienten kommt die erste Panikattacke oft wie aus heiterem Himmel, der Ayurveda-Arzt weiß jedoch, dass sie nur die Spitze eines Eisberges ist, die sich erst dann zeigt, wenn bereits seit langem das Gleichgewicht des Betroffenen aus den Fugen geraten ist.

Die damit auftretenden Ängste beeinträchtigen das Leben und auch den Lebensradius der Betroffenen manchmal so weit, dass an eine geregelte, verantwortungsvolle Tätigkeit kaum noch zu denken ist. Aber auch Menschen, die Panikattacken in weniger ausgeprägter Form erleben, leiden in der Regel sehr unter dieser anfallsartig auftretenden Störung.

Was sind die tieferen Ursachen für Panikattacken?

Dieser Frage muss der Ayurveda-Arzt im Einzelfall akribisch nachgehen. Denn erst wenn die Auslöser gefunden wurden und Maßnahmen ergriffen werden, diese abzustellen, kann ein Mensch wieder in eine ausgeglichene seelisch-körperliche Verfassung zurückgeführt werden.
Die Ursachenforschung orientiert sich an den wichtigsten Auslösern für Vata-Störungen, die das moderne Leben in den sogenannten zivilisierten Ländern mit sich bringt. Sie können auf einen simplen Nenner gebracht werden – zu viel, zu schnell, zu oft:

  • zu späte Nachtruhe
  • unausgeschlafen aufstehen
  • unregelmäßiger Tagesrhythmus
  • unregelmäßige Essenszeiten
  • keine ausreichenden Ruhephasen nachts und auch tagsüber
  • Unruhe durch Fernsehen (schnell wechselnde Bilder, belastende Inhalte (Krimis, Nachrichten etc.), insbesondere vor der Nachtruhe
  • Arbeits- und Zeitdruck
  • familiäre Sorgen
  • fehlender emotionaler Rückhalt durch zerbrechende persönliche Beziehungen

Ein Organismus, der über lange Zeit einer, durch viele dieser Faktoren beschleunigte, Funktionsweise ausgesetzt ist, lernt automatisch, sich auf ein neues – zu schnelles – Niveau einzustellen. Die notwendige Regeneration kann nicht erfolgen.

Schlafstörungen gehen oft mit Panikattacken einher

Schlafstörungen stellen sich ein, die fast immer ein belastender Begleiter von Personen mit Panikattacken sind. Und selbst wenn sie zum Zeitpunkt des ersten Auftretens der Panikattacken gut schlafen sollten, so stellt man in der Praxis fast ausnahmslos längere Phasen von Schlaflosigkeit in der persönlichen Biografie der Betroffenen fest, manchmal liegen diese sogar Jahre zurück.

Und dies ist nicht von ungefähr: Während in der Pitta-Zeit tagsüber zwischen 10.00 und 14.00 Uhr der Höhepunkt der Assimilation der Nahrung ist, indem die im Magen-Darmtrakt zerlegte Nahrung in das Blut aufgenommen wird, arbeitet der Stoffwechsel in der nächtlichen Pitta-Zeit ebenfalls auf Hochtouren. Unbemerkt vom Schläfer schleust der Körper nun die bereits feinst verdauten Moleküle aus dem Blut in die Körperzellen.

Bei Menschen, die zwischen 22.00 Uhr und 2.00 Uhr morgens nicht tief schlafen, ist dieser Mechanismus beeinträchtigt, ganz gleich, ob dies durch Schlafstörungen oder durch einen verschobenen Nacht-Tag-Rhythmus geschieht. Fehlt der Tiefschlaf in der Pitta-Zeit oder ist er auf Dauer verkürzt, gelangen weniger nährende Stoffe in die Körper- und damit auch in die Nervenzellen. Diese nicht ausreichend versorgten Nervenzellen sind tagsüber weniger belastbar, der Teufelskreis intensiviert sich.

Ayurveda ist die Kunst, Störungen mit dem Gegenteil auszugleichen, dies gilt insbesondere für die meist schnell erfolgreiche Behandlung von Panikattacken.

Ausgleichende Maßnahmen bei Panikattaken

Das gepeinigte Körper-Geist-Gefüge muss durch Ruhe und Regelmäßigkeit in allen Variationen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

  • Bewusst frühe Bettruhe
  • Ausschlafen ohne Wecker
  • Eine Minute direkt bei Sonnenaufgang in das Sonnenlicht schauen
  • ein tägliches Sonnenbad (frühmorgens oder spätnachmittags)
  • Regelmäßige Essenszeiten, gutes Kauen und Ruhe beim Essen
  • Vata-beruhigende Kost
  • warme Getränke tagsüber, heißes Waser, beruhigende Kräutertees, Vata-Tees
  • warme Gewürzmilch mit frisch gemahlener Muskatnuss vor dem Schlafengehen
  • Mittagsruhe: 30 Min. auf der linken Seite liegen
  • Jeden Morgen ein Abhyanga, eine Ganzkörperölmassage mit angewärmtem, gereiftem* Sesamöl, besonders wichtig: Kopf, Ohren und Füße.
  • Nervenstärkende und Vata reduzierenden ayurvedische Heilkräuter wie Ashvagandha, Jatamansi, Guduchi oder Brahmi.
  • Stramm gehen an frischer Luft (kein Joggen!), am besten in ruhiger Umgebung sowie zusätzlich noch einmal ein Spaziergang direkt vor dem Schlafengehen.
  • Ruhige Yoga- und mehrmals täglich ca. 5 Minuten leichte Atemübungen (Pranayama)
  • Regelmäßig zweimal täglich Meditation mit ungestörter Aufmerksamkeit.

Wenige Wochen eines so geordneten Regimes, um wieder nachhaltig in die Balance zu kommen, reichen fast immer für eine deutliche Besserung aus.

Der Irrtum des Intellekts

Zieht man die klassischen Ayurveda-Texte zu Rate, findet man dort als Hauptursache aller Störungen des Dosha-Gleichgewichts emotionale Störungen, allen voran den Irrtum des Intellekts, Pragya paradh.
„Die Grundursache des Ungleichgewichts der Doshas etc. ist ein Leben nicht in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. … Der Ursprung dessen ist der Fehler des Intellekts (Pragya paradh).“ Charaka, Vi, III, 20 Damit ist der Zustand des Menschen in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit treffend charakterisiert. Ein Mensch, der sich so sehr mit den äußeren Aspekten des Lebens identifiziert, dass er seine eigentliche, innere Natur nicht mehr wahrnehmen kann. Der direkten und regelmäßigen Erfahrung des Zustands geistiger Stille liegt gerade im Fall von Panikattacken die größte und schnellste Heilkraft inne.

Empfehlenswert ist Meditation, speziell Transzendentale Meditation (TM), deren Technik die direkte Erfahrung des unbegrenzten Bereichs im Inneren eines jeden Menschen bereits in den ersten Stunden der persönlichen Praxis ermöglicht.

Forschungsergebnisse zeigen: Bei Patienten mit lange bestehendem und zuvor jeder Behandlung trotzendem posttraumatischem Stresssyndrom ist eine Verringerung ihrer Beschwerden bereits in den ersten Wochen nach Erlernen der Technik messbar (1,2). Denn innerhalb von Minuten reduzieren sich dabei im Körper alle Stresshormone (3), die Atem- und Herzfrequenz (3,4), während sich der Hautwiderstand erhöht (5) Ängste (8) und Schlafstörungen (9) sich verringern.

Als Schnell- und Intensivtherapie bleibt immer noch der Königsweg des Ayurveda: die klassischen Kur-Anwendungen, das sogenannte Panchakarma. Diese systematisch aufeinander aufbauenden entgiftenden und beruhigenden Ölmassagen, Ölgüsse und Reinigungsbehandlungen führen erstaunlich schnell in ein neues Gleichgewicht, das – auch das ist hilfreich – entfernt von der belastenden Umgebung zu Hause einen ganz neuen Start ermöglicht (10). So schlimm Panikstörungen für die Betroffenen auch sein mögen: der Ayurveda-Heilkundige weiß, dass es „nur“ ausgeprägte Vata-Störungen sind und die gute Botschaft hierbei lautet: Vata kommt schnell und geht auch schnell wieder. Aus langer ärztlicher Erfahrung weiß ich: Je mehr Vata-beruhigende Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt werden, desto zügiger schreitet der Genesungsprozess voran, und das ist in der Regel sehr viel schneller, als die Betroffenen es sich vorstellen können.


Heft 39 – Hormonelle Balance

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich als Titelthema in Heft 39 mit den Wechseljahren der Frau aus Ayurvedischer Sicht.