Die indische Bewegungs- und Meditationslehre Yoga ist in den vergangenen Jahren in unserer westlichen Welt sehr populär geworden – und längst keine ausschließliche Zeitgeist-Aktivität mehr. In vielen Yogaschulen werden verschiedene Yogastilrichtungen nach unterschiedlichen Traditionen geübt. Besonders die so genannten Asanas, die Yogahaltungen, und Pranayamas (Atemlenkungen) stehen in jeder Yogaeinheit im Mittelpunkt und helfen dabei, ins Gleichgewicht zu gelangen und Lebenskraft zu gewinnen.

Wie soll geübt werden

Jeder Yoga-Praktizierende kommt mit einer ganz eigenen individuellen Motivation und Voraussetzung zum Yoga. Aus der Vielzahl der Asanas und Asana-Bewegungsabläufe muss nun die passende Asana-Praxis gefunden werden. Im alten Indien konnte man Yoga oder Yoga-Therapie nur direkt von einem Meister, dem Guru, lernen. Es bestand ein enger persönlicher Kontakt über lange Zeit – die Übungsanweisungen wurden mündlich übermittelt.

Idealerweise wird für Yogaschüler auch heute eine individuelle Asana-Praxis in einer Einzelstunde mit einem Lehrer erarbeitet – am besten nach ayurvedischen Gesichtspunkten. Diese Praxis wird über einen bestimmten Zeitraum zu Hause täglich geübt und in Abständen verändert und erneuert. Überwiegend aber findet Yogaunterricht heute als Gruppenunterricht statt – für die wöchentliche Gruppenstunde kann die Disziplin, regelmäßig zu üben, leichter aufgebracht werden!

Mit den Asanas soll ein Gleichgewicht auf allen Ebenen des Praktizierenden – körperlich, mental, emotional – erreicht werden. Asana-Praxis soll ein „zu viel“ (Hypertonus) oder „zu wenig“ (Hypotonus) an Spannung in Spannkraft (Wohlspannung, Eutonie) umwandeln.

Verschiedene Yogatraditionen vermitteln zum Teil eine sehr unterschiedliche Asana-Praxis: Überwiegend statisch gehaltene Asanas (Iyengar-Yoga), überwiegend dynamische Asanas (Kundalini-Yoga), Ashtanga-Vinyasa- Yoga (dynamisches Aneinanderreihen von Asanas, sechs festgelegte Serien)……

Eine ideale Yogapraxis (alle Doshas ausgleichend) beinhaltet eine Mischung verschiedener Aspekte:

  • Dynamische Asanas, um den Stoffwechsel anzuregen, Energie zu wecken und Beweglichkeit zu erlangen.
  • Statische, präzise aufgebaute Asanas, um Stabilität und Kraft aufzubauen.
  • Langsame, fließende Asanas, synchronisiert mit dem Atem, um das Nervensystem auf Ruhe umzuschalten.

Das Zusammenstellen einer Asana-Praxis ist wie das Komponieren eines Musikstückes – einerseits wird ein fundiertes Grundwissen, andererseits auch Kreativität und Begeisterung für das Thema benötigt.

Die Geschichte der Asana

Das Wort Asana stammt aus der Gelehrtensprache Indiens (Sanskrit) und leitet sich von der Wort-Wurzel as = sitzen ab. „Ursprünglich bezeichnete das Wort die besondere Fläche, auf welcher der Yoga-Übende sitzt“, schreibt Wilfried Huchzermeyer im „Yoga-Wörterbuch“. Irgendwann im Zeitraum zwischen 200 vor Christus und 400 nach Christus lebte der indische Gelehrte Patanjali, der altes Wissen über Yoga gesammelt und in den Yoga-Sutras, dem Leitfaden des Yoga, in 195 Versen zusammengefasst hat. Für die meisten Yogatraditionen sind die Yoga-Sutras noch heute der wichtigste Quellentext über Yoga.

Im Yoga-Sutra (YS) wird Asana wie folgt beschrieben: sthirasukham asanam – Die Sitzhaltung soll fest und angenehm sein, YS II.46. Auch in den folgenden beiden Sutras beschreibt er ausschließlich das richtige Sitzen und nicht eine bestimmte Bein- oder Armhaltung – oder wie der Rücken gehalten werden soll. Zu dieser Zeit war die Vielfalt der heutigen Körperstellungen noch nicht bekannt. Im Ashtanga-Yoga (Achtstufen-Pfad) des Patanjali ist Asana die dritte Stufe nach den ethischen Verhaltensregeln Yama und Niyama und es geht darum, dass das Sitzen vollkommen mühelos geschieht – ohne jedes Tun. Das Ziel ist, die Geistesaktivitäten zur Ruhe zu bringen – cittavritti nirodhah, YS 1.2.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden tausende Siegel im Indus-Tal gefunden. Sie stammen aus der Indus- oder Harappa-Kultur. Diese Hochkultur existierte von zirka 3000 vor Christus bis etwa 1000 vor Christus. Die Siegel zeigen unterschiedliche Abbildungen und einige Figuren in Meditationsstellungen. Es wird angenommen, dass auf einem der Siegel der Hindu-Gott Shiva dargestellt wird. Shiva soll den Yoga entdeckt und als erster praktiziert haben – so erzählt es eine Legende. Ursprünglich habe Shiva 840 000 Haltungen entwickelt, welche individuell den verschiedensten Arten von Lebewesen gerecht werden sollten. Die Quellen (Hatha-Yoga- Pradipika oder Gheranda-Samhita) benennen jedoch zum Gebrauch 32 oder 84 Asanas.

Ab dem 11. oder 12. Jahrhundert hat sich der Hatha-Yoga innerhalb des shivaitischen Tantrismus entwickelt. „Der eher asketisch orientierte klassische Yoga wurde jetzt jedoch zu einer die Übung mit dem Körper in den Mittelpunkt rückenden spirituellen Praxis transformiert.“ (Eckhard Wolz-Gottwald im „Yoga-Philosophie- Atlas“). Das Schriftzeugnis Hatha-Yoga Pradipika aus dem 14. oder 15. Jahrhundert enthält den bis heute gebräuchlichsten Text des Hatha-Yoga mit Anleitungen zur Praxis von Körperstellungen (Asanas). In Kapitel 1,17 heißt es: “Asana ist das erste Element des Hatha- Yoga und wird zuerst beschrieben. Asanas bewirken die mentale wie auch körperliche Stabilität, Gesundheit und ein Gefühl von Leichtigkeit“. Es werden 15 Haltungen und die Entspannungshaltung beschrieben.

Der gesundheitliche Nutzen der Asana-Praxis

Die Bedeutung der Asanas hat seit dem 20. Jahrhundert stark zugenommen. Mit dem Ziel, über die körperliche Fitness den Menschen gesund zu erhalten und ganzheitlich zu entwickeln, entstanden mit der Zeit präzise ausgearbeitete physische Übungssysteme.

Es wurden zahlreiche Studien über die Wirksamkeit des Yoga in Indien (ab 1922 Swami Kuvalayananda, Pionier auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Erforschung des Yoga), den USA und Europa veröffentlicht. Die umfangreichste deutsche Yoga-Studie unter der Leitung der Verhaltenswissenschaftlerin und Yogalehrerin Martina Bley wurde in Berlin von 1993 bis 1995 durchgeführt. Sie hat gezeigt, dass eine 18-monatige Yogatherapie mit klassischen Hatha-Yoga-Asanas eine nachhaltige Verbesserung des Gesundheitszustandes bei chronischen Schlafstörungen und Bluthochdruck bringt. Inzwischen sind weltweit einige Tausend wissenschaftliche Studien zum gesundheitlichen Nutzen von Yoga und Meditation veröffentlicht.

Sinnvolle Übungen

Yoga hat wie Ayurveda eine vorbeugende und eine therapeutische Seite. Prinzipiell ist es für jeden Menschen möglich, Asanas zu üben. Gesunde können aus nahezu allen Asanas wählen. Sie sollen aber immer sattvisch üben: ausgleichend, fair mit sich selbst und ohne sich zu überfordern. Kopfstand und starke Rückbeugen dürfen nur geübt werden, wenn der Rücken stabil und kräftig ist, und die Kraft der Arme und Schultern ausreicht, den Körper zu halten ohne die Wirbelsäule und insbesondere die Halswirbelsäule zu belasten. Aus gesundheitlicher Sicht sind diese Asanas jedoch entbehrlich. Kranke sollen Asanas üben, die individuell von einem sehr erfahrenen und medizinisch vorgebildeten Yogalehrer zusammengestellt worden sind.

Manche „moderne“ Yogarichtung hat wenig oder nichts mit der Yogatradition zu tun und ähnelt vielmehr Fitnessprogrammen. Zudem ist es auch aus gesundheitlicher beziehungsweise ayurvedischer Sicht nicht sinnvoll, einseitig, unter extremen Bedingungen wie zum Beispiel bei sehr hoher Temperatur oder im Sinne eines Workouts zu üben.

Asana-Praxis und das Konzept der Doshas

Für Menschen mit überwiegend Vata in der Konstitution sind alle Asanas geeignet, die Kraft, Ruhe und Ausdauer verbessern. Es soll gleichmäßig, mit moderatem aber anhaltendem Einsatz geübt werden. Körper und Geist bleiben trotz Anstrengung ruhig und entspannt.

Menschen mit überwiegend Pitta in der Konstitution sind in der Auswahl der geeigneten Asanas am wenigsten eingeschränkt. Sie müssen allerdings darauf achten, ihr inneres und äußeres Gleichgewicht zu erhalten. Menschen mit Pitta-Konstitution müssen daher auf einen Ausgleich von Kraft, Beweglichkeit, Regeneration und Entspannung achten. Menschen mit überwiegend Kapha in der Konstitution sollten Asanas wählen, die Beweglichkeit, Wachheit und auch eine gewisse Leichtigkeit fördern, die Durchblutung von Muskeln und Gehirn steigern, die Verdauung (insbesondere Agni) fördern sowie den Stoffwechsel optimieren. Eine gute Anstrengung und viel Bewegung sind wichtig. Menschen mit hohem Kapha sollen durchaus ins Schwitzen kommen!

Zum Abschluss wünschen wir Ihnen eine gute Asana-Praxis! Zwei Sätze möchten wir Ihnen mit auf den Weg geben: Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst Du das Unmögliche. (Franz von Assisi) Wenn Du glaubst, etwas ist unmöglich, dann ist es unmöglich. (Bruce Lee)


Heft 36 – Krebsprävention

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