Es ist Weihnachtszeit und draußen herrschen Dunkelheit und Kälte. Wir suchen nach Wärme, Licht und Geborgenheit. Das Kaminfeuer knistert, ein Hauch von Zimt, Anis, Nelke und Vanille liegt in der Luft und wir betrachten meditativ das rubinartige Funkeln, während wir unseren Kelch im Uhrzeigersinn schwenken. Der Geruch erinnert an schwarze Früchte und Basilikum. Wir nehmen einen Schluck, bewegen diesen im Mund und atmen tief – es öffnet sich eine Welt der Geschmacksvielfalt, die kaum in Worte zu fassen ist, Emotion pur. Herzlich Willkommen im Reich der Genüsse.

Wein ist so alt wie die zivilisierte Menschheit

Weinreben waren zusammen mit Oliven und Feigen die ersten Wildfrüchte, die der Mensch domestizierte. Bereits vor über 7.000 Jahren vergoren vermutlich Nomadenvölker Trauben zu Wein. Seit jeher ist Wein ein Kulturgut. Wein lebt – kaum ein anderes Naturprodukt ist so stark mit den Kräften der Elemente verbunden. Ich erinnere mich als kleiner Junge an die inbrünstige Arbeit meiner Großeltern, die ein berühmtes Weingut im Rheingau führten und den Einklang mit der Natur suchten. Begeisterung und Verzweiflung lagen jährlich dicht beieinander. Jahrhunderte lang wurde Wein in der Medizin als Heilmittel eingesetzt. Und auch wenn wir künftig keine Kostenübernahme von Wein durch Krankenkassen zu erwarten haben, so empfehlen heute zunehmend Ärzte den moderaten Konsum von Rotwein. Zu Recht!

Im traditionellen Ayurveda wurden bereits 84 Weine unterschieden, davon 26 aus dem vergorenen Saft frischer Früchte (Phalasava). Der berühmteste Fruchtwein wird heute noch aus Trauben hergestellt und trägt den Namen „Drakshasava“.

Wein aus ayurvedischer Sicht

Traubenwein wirkt anregend, beglückend, nährend, fördert Kühnheit, Vorstellungskraft, Zufriedenheit, Körperfülle und Stärke, vertreibt Kummer, Müdigkeit und Furcht. Wein ist wie Nektar, wenn von Sattva-dominierten Menschen mit Vernunft und entsprechend gesundheitlicher Regeln getrunken. Caraka Samhita 1.27

Diese 2000 Jahren alten Sätze aus dem wichtigsten ayurvedischen Kompendium lassen erahnen, welchen Stellenwert der Ayurveda vergorenen Weintrauben einräumte.

Der ayurvedische Traubenwein „Drakshasava“ enthält nebst Weintrauben auch Gewürze wie Kardamom, schwarzen und langen Pfeffer sowie Zimtrinde. Moderne Untersuchungen bestätigen eine erhöhte Bioverfügbarkeit von Resveratrol durch Piperine aus Pfeffer – beachtlich, welches Wissen damals bereits vorhanden war. Drakshasava gilt als herzstärkend, schlaffördernd, appetit- und verdauungsanregend und wird bei Schwächezuständen im Alter, nach Infekten und bei chronischem Husten empfohlen.

Rotwein, der nach heutigen Richtlinien erzeugt wird, weist aus ayurvedischer Sicht eine komplexe Geschmacksvielfalt auf. Er ist süß aufgrund des Fruchtzuckers gemäß Sonneneinstrahlung, sauer gemäß Fruchtsäure, scharf durch den Alkohol und herb gemäß seinem Gehalt an Tanninen. In Einzelfällen lassen sich auch Bitterstoffe und sogar salzige Aromen identifizieren. Rotwein wirkt erhitzend, sein Konsum wird daher vorrangig im Herbst und Winter empfohlen. Menschen, die unter Schleimhautentzündungen, schubartig verlaufenden Krankheiten, Hauterkrankungen, neurologischen und psychiatrischen Beschwerden, Magen-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen oder Allergien leiden, sollten die Verträglichkeit von Rotwein prüfen. Fragen Sie im Zweifelsfall Ihren Ayurveda Spezialisten.

Rotwein im Lichte der Wissenschaft

1992 sorgte das „französische Paradox“ für Aufsehen – die Tatsache, dass Südfranzosen trotz vergleichbaren Nikotin- und Fettkonsums 2,5mal weniger Herzinfarkte als Amerikaner entwickelten, wurde auf die Wirkung von Rotwein zurückgeführt.

Heute muss die damalige These teilweise korrigiert werden. Das zunehmende Wissen um die mehr als 1000 Inhaltsstoffe des Rotweins ermöglicht nun eine wesentlich differenziertere Betrachtung. Die Schlüsselsubstanz im Rotwein heißt Resveratrol.

Resveratrol ist ein natürliches Polyphenol, das in vielen Pflanzen einschließlich Trauben, Beeren und Erdnüssen vorkommt und diesen als Schutz vor Krankheitserregern dient. Die konzentrierteste Nahrungsquelle für Resveratrol ist Rotwein und sein jeweiliger Gehalt ist davon abhängig, wie lange die Haut der Trauben im Fermentationsprozeß verweilt. Bei der sogenannten „Maischegärung“ sind Schalen und Fruchtfleisch in Kontakt mit dem Most und die wertvollen Polyphenole werden somit gelöst. Resveratrol wird durch andere Polyphenole im Rotwein in seiner Wirkung verstärkt.

Besondere Aufmerksamkeit erhält Resveratrol in der Erforschung des Alterungsprozesses und damit verbundenen Erkrankungen. Als „CR-Mimetikum“ täuscht es dem Körper eine Kalorienrestriktion vor, die bisher als einzige experimentell belegte Methode zur Lebensverlängerung durch Aktivierung eines Langlebigkeits-Gens gilt. In Verbindung mit der ausgeprägt antioxidativen und zudem erwiesenen antientzündlichen Wirkung kann Resveratrol als Schlüsselsubstanz für gesundes Altern betrachtet werden. Zahlreiche Studien konnten weitere Wirkungen belegen:

Resveratrol

  • verbessert die Insulinsensitivität, schützt die insulinproduzierenden Zellen und senkt den Blutzuckerspiegel – somit beugt es der Entwicklung von Diabetes vor
  • wirkt krebsvorbeugend, hemmt die Tumorentwicklung und fördert den Krebszelltod
  • hemmt die Fettspeicherung und das Wachstum von Fettzellen. Schützt Herz und Gefäße und reduziert die Gefahr von Thrombosen
  • schützt vor Nervenschädigungen im Gehirn

Ein Liter Rotwein enthält im Durchschnitt 5-6mg, die Rebsorten Pinot Noir (Spätburgunder) und Tannat sogar bis 15mg Resveratrol. Kühle feuchte Nächte und sonnenreiche warme Tage sowie der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel lassen die Trauben besonders viel von diesem schützenden Wunderstoff produzieren. Vor allem chilenische und südwestfranzösische Anbaugebiete weisen hierfür die optimalen klimatischen Bedingungen auf.

Im französischen Weinbaugebiet Madiran sorgte vor 50 Jahren der Winzer Alain Brumont für eine Revolution gegen die Empfehlungen des staatlichen Weinbauamtes. Er bestockte die kiesigen Böden zu 4/5 mit den aufgrund schlechter Ertragsmengen in Ungnade gefallenen Tannatreben – und dies ohne Chemie und Kunstdünger. In Blindverkostungen schlug 1985 sein erster sortenreiner, also 100%iger Tannatwein sogar renommierteste Tropfen aus Bordeaux.
Im Journal of Ethnopharmacology wurde 1999 eine Studie zum ayurvedischen Traubenwein „Drakshasava“ veröffentlicht, die den Gehalt an Polyphenolen wie Resveratrol und Pterostilbenen anhand einer HPLCAnalyse bestätigte. Somit können die traditionellen Wirkaussagen vor 2000 Jahren als höchst wissenschaftlich angesehen werden!

Vorsicht Alkohol – Die Dosis macht das Gift!

Rotwein enthält je nach Sorte zwischen 10-15% Alkohol. Es gibt keine Untergrenze, ab der Alkohol als grundsätzlich unschädlich einzustufen wäre. Die Auswirkungen von Alkoholmißbrauch sind nicht schönzureden. Langfristiger übermäßiger Konsum wirkt nerven- und lebertoxisch, stört die Blutbildung, beeinträchtigt die Fortpflanzungsfähigkeit, schädigt den Magen-Darm-Trakt und die Bauchspeicheldrüse, hemmt knochenbildende Zellen, erzeugt Vitaminmangel und führt langfristig zu Denk- und Gedächtnisstörungen.

Gibt es das rechte Maß? Ja!

Erfahrungsgemäß sollten Frauen nicht mehr als 150-200ml, Männer maximal 250ml Rotwein pro Tag genießen. Mindestens zwei alkoholfreie Tage wöchentlich sind empfehlenswert. Meiden Sie grundsätzlich Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 20%. Diesen einen gesundheitlichen Vorteil zuzusprechen, ist medizinisch unverantwortlich.

Das Alter eines Weines

„Frischer Wein ist schwer und reizt alle Doshas. Alter Wein klärt die Leitungsbahnen, ist leicht, appetitanregend und genussvoll.“
Caraka Samhita 1.27

Die Bezeichnung „alter Wein“ ist hinsichtlich Alter oder Geschmack nicht klar definiert. In Abhängigkeit von der Traubensorte besitzt jeder Wein ein eigenes Alterungspotenzial. Die Reifung in Eichenholzfässern (Barrique) schützt den Wein vor Oxidation, stützt seine Aromen und verleiht eigene Noten von Vanille, Leder oder Rauch. Tannine, auch Bestandteil des Eichenholzes, sind für die Lagerfähigkeit eines Rotweins von entscheidender Bedeutung. Tanninreiche Sorten sind Cabernet Sauvignon, Syrah, Tannat, Mourvedre, Brunello, Tempranillo und Nebbiolo.

Wein und Essen

Welcher Wein passt zu welchem Essen? Eine detaillierte Antwort auf diese Frage würde den Rahmen sprengen. Daher ein paar grundlegende Empfehlungen. Die gesundheitlich vorteilhaften Weine sind allesamt intensiv, tanninbetont, extraktreich und weisen einen höheren Alkoholgehalt auf. Meiden Sie sahnige Saucen, da diese eine aus ayurvedischer Sicht unzuträgliche Kombination mit Säure darstellen und zudem den Alkohol scharf schmecken lassen. Alkohol und Salz rufen einen bitteren Geschmack hervor, seien Sie daher mit dem Salzen moderat. Sehr gut zu den subtilen Weinen passen milde, in Ghee oder Olivenöl gedünstete Gemüsegerichte mit dezenter Würzung und mindestens einem süßlichen Anteil wie Zwiebeln, Schalotten, Karotten, Paprika oder Kürbis. Knoblauch zähmt ausgeprägte Gerbstoffe. Getreide wie Reis oder Nudeln sowie Kartoffeln stellen ebenfalls gute Begleiter zu diesen Weinen dar. Mächtige Rotweine können zudem auch durch ausgewählte Fleischsorten besänftigt werden. Probieren Sie auch mal eine fein pürierte Linsensuppe aus gelbem Mungdal, die anstelle der gewöhnlichen indischen Intensivwürzung nur mit etwas Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, einem Hauch Limonensaft und frischen Korianderblättern zubereitet wurde – ein wahres Gedicht.
Nun wünsche ich Ihnen genussvolle Wintertage mit einem guten Tropfen Rotwein.

Auf die Gesundheit!


Heft 36 – Krebsprävention

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