Blau, rot oder weiß?

Menschen reagieren auf verschiedene Farbtöne und ordnen sie bestimmten Gefühlen zu.

Ob das strahlende Blau des grenzenlosen Himmels, die Morgenröte, das reine Weiß schnee-bedeckter Berggipfel oder das Purpurlicht bei Sonnenuntergang – ein Leben ohne Farben ist kaum denkbar. Farben lösen im Menschen bestimmte Emotionen aus.

Die Auswirkungen von Licht- und Farbmangel erleben viele im recht dunklen Spätwinter:
Müdigkeit und depressive Stimmungslagen nehmen in dieser Zeit deutlich zu. Bereits vor 2000 Jahren wies der Ayurveda auf die Bedeutung von Farben in der Diagnostik und Behandlung von Patienten hin. Auch wenn eine ausgewiesene „Farbtherapie“ ayurvedisch nicht explizit definiert wurde, so lassen sich aus den vorliegenden Informationen Therapie- möglichkeiten ableiten.

In der vedischen Wissenschaft vom gesunden Bauen und Wohnen (Vastu Shastra) und der vedischen Astrologie (Jyotish) werden Farben weitaus detaillierter beschrieben und therapeutisch genutzt als im Ayurveda. Aufgrund ihrer gemeinsamen vedischen Wurzeln lassen sich daher einige Kenntnisse der Schwesterwissenschaften ayurvedisch nutzen.

Die Farblehre im Ayurveda

Licht und Farben haben starke Auswirkungen auf Körper, Sinne und Geist. Sie sind ein Ausdruck des von der Sonnenenergie stammenden Feuerelementes und werden über die Augen (durch Alochaka Pitta) und die Haut (durch Bhrajaka Pitta) aufgenommen.
In den klassischen Ayurveda-Kompendien werden Farben in unterschiedlichen Kontexten beschrieben. Die meisten Zuordnungen beziehen sich auf die drei Körperaspekte Vata, Pitta und Kapha und die drei geistigen Eigenschaften Sattva, Rajas und Tamas.

Durch Aufspaltung von weißem Licht entstehen die sieben vom menschlichen Auge wahrnehmbaren Regenbogenfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Blau, Rot und Grün können innerhalb dieses Farbspektrums als die drei Grundfarben von Vata, Pitta und Kapha angesehen werden.

Der Künstler und Ayurveda-Kenner Nikolaus Hirschmann setzt diese Kenntnisse in seinen Bildern um:

  • Vata wird durch Grün beruhigt und ausgeglichen und durch Rot belebt.
  • Pitta wird durch Blau beruhigt und mit Grün ausgeglichen.
  • Kapha wird durch Rot belebt und mit Blau ausgeglichen.

Der amerikanische Gelehrte Dr. David Frawley ordnete schon vor 20 Jahren die besänftigende und aggravierende Wirkung von Farben auf Doshas wie folgt zu:
Vata
Besänftigend: gelb, orange, weiß, etwas rot; leichtere pastellartige anstelle von grellen und metallischen Tönen
Aggravierend: dunkle Töne: grau, braun und schwarz; grün und blau nur in Maßen oder mit warmen Farben
Pitta
Beschäftigend: kühlende Farben, weiß, blau und grün sind optimal, Grau und Brauntöne sind OK
Aggravierend: alle starken und grellen Töne, rot, tiefes schwarz
Kapha
Beschäftigend: warme und grelle Töne wie gelb, orange, gold und rot; braun, grau und schwarz in Maßen OK
Aggravierend: weiß und weißliche bzw. blasse Schattierungen von blau und grün sowie pink

Da die ayurvedischen Kompendien derartige tabellarische Einteilungen nicht lieferten, variieren die Zuordnungen gemäß Autor ein wenig. Das hängt vor allem mit der Fragestellung zusammen, welcher Aspekt des jeweiligen Doshas angesprochen wird. Deshalb stellen derartige Auflistungen nur eine erste Orientierungshilfe dar.

Sattva, Rayas und Tamas

Die drei ayurvedischen Grundeigenschaften des Geistes:

  • Sattva steht für Erkenntnis, Unterscheidungsvermögen und inneren Frieden.
  • Rajas steht als Energieprinzip im Spannungsfeld von Anhaftung und Abneigung.
  • Tamas wird als Prinzip von Trägheit, Widerstand und Unwissenheit verstanden.

Die Sattva repräsentierende Farbe ist weiß, sie wird psychologisch mit Reinheit, Unschuld und Wahrheit assoziiert. Neben Weiß stärken auch klare weiche Töne von Gold, Violett und Blau das Sattva.

Rot ist die Kernfarbe des Rajas und symbolisiert Energie, Leidenschaft und Aggressivität. Neben Rot wird Rajas auch durch grelle, metallische und penetrierende Töne von Gelb, Orange und Violett verstärkt.

Tamas wird durch schwarz symbolisiert und psychologisch mit Trauer, Schwere und Bedrohung assoziiert. Weitere Tamas steigernde Farben sind trübe, schmutzige und dunkle Töne von Braun und Grau.

Die Temperatur von Farben

Um die Wirkung von Farben ayurvedisch zu verstehen, müssen wir diese zunächst anhand ihrer Eigenschaften klassifizieren. Da relevante Daten in den Klassikern nur spärlich vermittelt wurden, ziehen wir Erkenntnisse der heutigen Farblehren und Farbpsychologie hinzu. Versuche haben ergeben, dass in zwei unterschiedlich gestrichenen Arbeitsräumen die Empfindung für Kälte oder Wärme um 3 – 4 °C differierte. In einem blaugrünen Raum empfanden die Personen die Innentemperatur von 15 °C als kalt, während sie sich im rot-orangenen Raum erst bei 11 – 12 °C kalt fühlten.

Warme Farben sind Gelb, Gelb-Orange, Orange, Rot-Orange, Rot und Rot-Violett.
Kalte Farben sind Gelb-Grün, Grün, Blau-Grün, Blau, Blau-Violett und Violett.

Farben und Gefühle

Unter der Harmonie von Farben wird das Gleichgewicht und die Symmetrie der Kräfte gemäß physiologischer Vorgänge beim farbigen Sehen verstanden – diese stellen die objektive Seite und keine subjektiven Gefühle von angenehm oder unangenehm dar. Auf der subjektiven Seite ordnen wir Farben bestimmten Gefühlen zu, da diese Verbindungen im Laufe des Lebens erfahren wurden. Die Wirkung von Farben ist zudem abhängig vom Kontext, mit dem sie in Verbindung gebracht wird. Eine grüne Tomate gilt als unreif und somit weniger attraktiv als das satte Grün frischer Gräser.

Die im Durchschnitt beliebtesten Farben bei Frauen und Männern sind blau, rot und grün – die unbeliebtesten braun, orange und violett. Schauen wir uns die Wirkung der drei beliebtesten Farben etwas detaillierter an.

Blau

Die beliebteste Farbe Blau wird mit der Weite, der Unendlichkeit und der Kühle assoziiert. Sie ist weitgehend positiv belegt und gilt als Farbe des Vertrauens, der Freundschaft und Verlässlichkeit. Blau ist still, blau entspannt.
Wir können blauäugig sein, unser blaues Wunder erleben oder ins Blaue hinein reden.

Rot

Die zweitbeliebteste Farbe Rot wird psychologisch mit Feuer und Blut assoziiert und steht symbolisch für Liebe, Erotik und Leidenschaft sowie Wut, Aggressivität und Gefahr.
Wir werden rot, geraten in die roten Zahlen oder verlieren den roten Faden.

Grün

Die drittplatzierte Farbe Grün wird mit der Natur assoziiert und steht für Lebendigkeit, Erholung und Hoffnung. Grün gilt als gesund und zugleich als unreif.
Wir fahren ins Grüne, geben grünes Licht oder kommen auf keinen grünen Zweig.

Heilen mit Farben – Die Chromotherapie

Das ayurvedische Therapiemandala umfasst drei Ebenen der Heilkunde: die Körpertherapie (Yuktivyapashraya), die „Psychotherapie“ zur Entwicklungsförderung des Geistes (Sattvavajaya) und die subtilen Verfahren (Daivavyapashraya).

Chromotherapie lässt sich auf allen drei Ebenen integrieren:

  • Körpertherapeutisch als Teil der Ordnungstherapie und gesunden Lebensführung zur Balancierung von Vata, Pitta und Kapha
  • Psychotherapeutisch zur Steigerung von Sattva und Kontrolle über Rajas und Tamas
  • Subtil zur Förderung transzendenter Erfahrungen.

1947 entwickelte der weltweit anerkannte Farbpsychologe Prof. Dr. Max Lüscher einen Farbtest, der die präferierte Reihenfolge vorgegebener Testfarben bei Patienten ermittelt und daraus psychologisch relevante Charaktereigenschaften ermittelt. Dieser Test wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Lüscher beschreibt auch die Verbindung von Farben und Selbstgefühlen:

FarbeEmpfindungVerhaltenSelbstgefühl
RotErregungStärkeSelbstvertrauen
BlauRuheEinordnungZufriedenheit
GrünFestigkeitBeständigkeitSelbstachtung
GelbEntfaltungVeränderungInnere Freiheit


Die Behandlung von Krankheiten durch Farbtherapie sollte nur von erfahrenen und umfangreich ausgebildeten Therapeuten durchgeführt werden. Leider tummeln sich auf diesem Gebiet zahlreiche selbsternannte „Farbtherapeuten“, deren Ansatz weder auf klassischen Richtlinien noch wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Hier besteht großer Entwicklungsbedarf, um die zweifelsfrei existierende Heilkraft von Farben therapeutisch mit Hilfe modernster Farblichttechnik nutzen zu können.

Praktische Anwendungsmöglichkeiten der Farblehre im Alltag

Jeder kann aktiv Farben nutzen, um Balance in Körper und Geist zu bringen. Ich empfehle zu Beginn einen dreifachen Farben-Check durchzuführen und darauf basierend erste Veränderungen vorzunehmen:

Farbcheck Ihres Kleiderschranks:
Welche Farben dominieren? Weshalb haben Sie diese ihrerzeit gewählt? Entsprechen diese Ihren aktuellen Bedürfnissen?

Farbcheck Ihrer Wohnräume:
Welchen Farben haben Ihre Wände und Bodenbeläge? Welche Möbelfarben dominieren? In
welchen Räumen fühlen Sie sich besonders wohl, welche meiden Sie eher?

Farbcheck Ihrer Arbeitsräume:
Welches unmittelbare Farbumfeld erleben Sie an Ihrem Schreibtisch? Gibt es farbige Ausblicke, zum Beispiel ins Grüne? Welche Farbhintergründe haben Sie am Computer für den Bildschirmschoner gewählt?

Geben Sie sich vier Wochen Zeit, um die Änderungen wirksam werden zu lassen. Sprechen Sie mit Ihren Mitmenschen über die möglichen neuen Gefühle und Wahrnehmungen, die sich zeigen oder schreiben Sie diese auf. Vergleichen Sie dann das Ergebnis mit dem Zustand vor den Änderungen.


Heft 47 – Mitten im Leben

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Glück in mittleren Jahren.