Mit Yoga Nidra zu Entspannung, neuer Energie und spiritueller Inspiration
Yoga Nidra ist ein Zustand vollständiger Entspannung bei gesteigerter Bewusstheit. Das Wort Nidra bedeutet Schlaf. Yoga bedeutet Einheit, Verbindung. So ist Yoga Nidra der Zustand des körperlichen und mentalen Schlafs bei bewusstem Erleben von Einheit. In diesem Zustand kann Prana, die Lebensenergie, frei fließen. Die individuelle Lebensenergie kann sich mit Shakti, der kosmischen Energie, verbinden. Selbstheilungskräfte für Körper und Psyche werden aktiv. Ein Gefühl der Verbundenheit und des grenzenlosen Vertrauens entsteht. Tiefe spirituelle Erfahrung kann sich manifestieren.
Yoga Nidra bedeutet, sich auf den Rücken zu legen, bewusst durch den Körper zu gehen und mittels bestimmter Bewusstseinstechniken aus dem normalen, gegenständlichen Denken herauszukommen. Yoga Nidra ist eine großartige Praxis, um Körper, Geist und Seele zu entspannen – und Zugang zu subtilen Energien und spiritueller Kraft zu finden.
Ursprung von Yoga Nidra
In den Puranas (uralte indische Schriften) ist Yoga Nidra der Schlaf des Gottes Vishnu am Ende eines Yugas (Zeitalters). Im Devi Mahatmya (Schrift zur Verehrung des weiblichen göttlichen Aspekts) ist Yoga Nidra die Kraft, mit welcher Vishnu die Asuras Madhu und Kaitabha (Dämonen der Dualität) überwindet. Im Tantra und im Bhakti Yoga (Yoga der Hingabe an das Göttliche) ist Yoga Nidra der Ausdruck für einen meditativen Gemütszustand der vollkommenen Entspannung bei intensiver Bewusstheit.
In moderner Zeit hat insbesondere Swami Satyananda (1923–2009) die Fülle der verschiedenen Yoga-Nidra-Techniken so zusammengefasst, dass auch moderne westliche Aspiranten diese einfach üben können. Man könnte sagen: Die systematische Aufeinanderfolge von Bewusstseinsübungen im Liegen kann man als Yoga Nidra bezeichnen.
Yoga Nidra, Tiefenentspannung und Meditation
Tiefenentspannungstechniken wie Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Body-scan, Fantasiereise und verschiedene Formen der Yoga-Entspannung haben sich als sehr effektiv gegen Stress, psychosomatische Krankheiten, Ängste und Erschöpfung erwiesen. Tiefenentspannung beinhaltet meist einen Zustand der Halbbewusstheit und wird manchmal auch als „Powernickerchen“ bezeichnet.
Beim Yoga Nidra wird dagegen die gesteigerte Wachheit betont. Man könnte sagen: Yoga Nidra ist Tiefenentspannung bei gesteigerter Wachheit, die zu tiefer spiritueller Erfahrung führen kann. Yoga Nidra hat daher die gleichen heilenden und regenerierenden Wirkungen wie Tiefenentspannung. Darüber hinaus verhilft es aber auch zu einer energetischen Aktivierung. Yoga Nidra will, ähnlich wie Meditation, zu persönlicher und spiritueller Entwicklung beitragen. Meditation wird normalerweise im Sitzen, Yoga Nidra im Liegen ausgeführt. Meditation führt über die Ruhe des Geistes zum Überbewusstsein. Yoga Nidra wirkt umgekehrt: Über gesteigerte Bewusstheit entsteht Ruhe des Geistes.
Wie wirkt Yoga Nidra?
Yoga Nidra wirkt über zwei Hauptmechanismen
- Die körperliche Entspannung löst die sogenannte Relaxation Response, die Entspannungsreaktion, aus. Diese bewirkt den Abbau von Stresshormonen, die Ausschüttung von Glückshormonen, die Beruhigung des Sympathikus und die Senkung des Blutdrucks. All dies führt zur Steigerung der Selbstheilungskräfte des Körpers, zur Verbesserung der Immunabwehr. Ayurvedisch könnte man sagen: Tiefenentspannung führt zur Beruhigung von Vata- und Pitta-Dosha, erlaubt dem Agni, sich zu regenerieren und hilft dem Organismus, Ama (Schlacken / Giftstoffe) auszuscheiden.
- Die gesteigerte Bewusstheit verhilft zum Austreten aus geistigen Kondition-ierungen, aus Verhaftungen, Identifikationen, Selbstbildern, Gedankenschleifen und Zwängen. So kann eine psychische und mentale Erneuerung entstehen – und die spirituelle Entwicklung zu Entspannung, neuer Energie gefördert werden.
Wie wird Yoga Nidra praktiziert?
Yoga Nidra erlernt man am besten in einer Gruppe. In manchen Yogaschulen gibt es Yoga Nidra als Tiefenentspannung am Ende der Yogastunden. Einige Yogalehrer/innen bieten Yoga-Nidra-Kurse und -Workshops an.
Yoga Nidra nur anhand von Texten zu lernen, ist schwierig. Gute Hilfen können Yoga-Nidra-CDs sowie kostenlose Anleitungen zu Yoga Nidra in Form von Internetvideos und -audios sein.
Yoga Nidra ist geeignet als tägliche Praxis zur Regeneration und zur täglichen spirituellen Übung. Diese Technik kann aber auch gelegentlich als Ergänzung zu jeder anderen spirituellen Tagesroutine geübt werden.
Ablauf von Yoga Nidra
Es folgt beispielhaft der Ablauf einer Yoga-Nidra Übung. Sie können einzelne Anleitungen auch erst separat im Sitzen ausprobieren – und anschließend im Liegen das anwenden, woran Sie sich erinnern.
- Einnahme der Rückenlage (Shavasana): Legen Sie sich auf den Rücken, die Füße etwas mehr als hüftbreit auseinander, Zehen fallen locker nach außen, Arme neben dem Körper und leicht vom Körper weg, Handflächen nach oben, Kopf in der Mitte.
- Anspannen und Loslassen aller Körperteile: Heben Sie das rechte Bein, spannen Sie es fünf Sekunden lang an, lassen Sie locker (dann das gleiche links). Heben Sie die Arme leicht an, machen Sie Fäuste, lassen Sie locker. Heben Sie das Becken an, spannen Sie Gesäß und Rücken an, lassen Sie locker. Heben Sie den Brustkorb an, Schulterblätter zusammen,
Rücken angespannt, lassen Sie locker. Drehen Sie den Kopf von Seite zu Seite. - Wahrnehmung: Nun lassen Sie die Wahrnehmung im Körper kreisen und Sie nehmen verschiedene Körperteile gleichzeitig wahr. Beispiel: Spüren Sie linke Zehen, rechte Zehen, Zehen beider Füße. Spüren Sie linken Fuß, rechten Fuß, beide Füße. Anderes Beispiel: Spüren Sie linke Hand, linken Unterarm, linken Oberarm, den ganzen linken Arm von Fingerspitzen bis Schultern. Spüren Sie den gesamten Bereich von den linken Zehenspitzen
bis zu den linken Fingerspitzen gleichzeitig. Spüren Sie linke Seite, rechte Seite, beide Seiten. Spüren Sie linken Fuß, rechten Fuß, Scheitel. Spüren Sie Füße und Scheitel gleichzeitig. Spüren Sie linke Gesäßhälfte, rechte Gesäßhälfte, linke Stirnhälfte, rechte Stirnhälfte, Gesäß und Stirn gleichzeitig. - Ausdehnung der Bewusstheit: Spüren Sie die Berührungspunkte des Körpers mit dem Boden. Spüren Sie die gesamte Berührungsfläche des Körpers mit dem Boden als Ganzes gleichzeitig. Spüren Sie in den Boden hinein. Mit jedem Atemzug dehnen Sie Ihre Bewusst-heit in den Boden aus. Spüren Sie Ihre Bewusstheit tief in die Erde hinein. Spüren Sie die nach links zeigenden Teile Ihres Körpers von linkem Fuß über linke Hüfte, linken Arm, linke Schulter bis linke Wange, linkes Ohr, linke Schläfe. Spüren Sie alle nach links zeigenden
Teile Ihres Körpers als Ganzes gleichzeitig. Spüren Sie das Energiefeld, das nach links ausstrahlt. Mit jedem Atemzug dehnen Sie Ihre Bewusstheit weiter nach links aus. Spüren Sie sich weit ausgedehnt nach links (dann das Gleiche nach rechts, nach oben, nach vorne und hinten). Spüren Sie die Ausdehnung Ihres Körpers oder Energiefelds in alle Richtungen. Mit jedem Atemzug dehnen Sie Ihre Bewusstheit in alle Richtungen aus. Spüren Sie, wie Ihr Bewusstseinsfeld immer weiter und weiter wird. - Ruhe: Bleiben Sie ein paar Minuten in dieser vollständigen Ruhe, Ausdehnung und Bewusstheit.
- Sankalpa: In dieser Ruhe wiederholen Sie eine Affirmation, einen Vorsatz oder ein Gebet. Zum Beispiel: „Ich bin voller Kraft und Energie. Mir geht es gut. Ich freue mich auf den heutigen Tag.“
- Rückführung: Atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus. Bewegen Sie die Füße und Hände. Dehnen, strecken, räkeln Sie sich. Beugen Sie ein Knie. Setzen Sie sich unter Zuhilfenahme des Knies auf. Genießen Sie die freudige Kraft, die Körper und Geist durchströmt.
Es gibt zahllose Variationen von Yoga Nidra. Viele Elemente können in Yoga Nidra integriert werden. Dazu gehören zum Beispiel Visualisierungen von Farben, insbesondere auch von mystischen Symbolen wie Yantras (rituelle Diagramme / Zeichnungen). Ein anderes Beispiel ist das Hervorrufen von gegensätzlichen Empfindungen wie Wärme und Kälte, Enge und Weite. Ein Sankalpa (Vorsatz) wird oft nicht nur am
Ende, sondern auch am Anfang wiederholt.
Heft 54 – Entschleunigung
Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Schwerpunkt Entschleunigung.