Als 19-Jährige mehrere Tage ohne Facebook und Mobiltelefon überstehen – geht das? Während einer „ayurvedischen Inspektion” (Ayurveda-Kur) können junge Frauen interessante Einsichten gewinnen…
Hat ihr Nachbar auch so ein Auto in seiner Einfahrt stehen? Eines von diesen edlen Gefährten mit teuren Ledersitzen, verchromten Felgen, gewachstem Lack und einer Inspektion im Jahr, die im Kaufpreis enthalten ist? Da wird das Öl gewechselt, die Bremsanlage überprüft und der Lack gepflegt. Bei Bedarf noch Kühlmittelzusatz, neue Wischerblätter und bei dem ganzen Service darf natürlich auch die Innenraumpflege nicht fehlen.
Bei diesem Anblick schweben Ihnen dann Bilder von Ihrem fast verstopften Abgasfilter, der kaputten Lüftung und der dauernd aufblinkenden Batterie-Anzeige vor Augen. Diese Vorgänge kamen mir am ersten Morgen des Ayurveda-Selbstversuchs in den Kopf.
Ayurveda im Alltag für junge Frauen
Meine Mutter und ich nahmen uns vor, in den folgenden Wochen unseren Alltag nach ayurvedischen Leitlinien auszulegen. Mit einer liebevollen Öl-Massage, Körperhygiene und einer Yoga– Einheit begann der Morgen. Das Einölen des Körpers – wie das Polieren des Lackes. Beim Abschaben des Zungenbelags dachte ich an den verstopften Abgasfilter. Und ein bis zwei Tropfen Nasya-Öl in beide Nasenlöcher plus Atemübungen beim Yoga ähnelten in etwa der Wartung und Entlüftung eines Ventils. Wie eine Maschine, unser Körper!
Unseren gewarteten Maschinen verabreichten wir abgekochtes Wasser und Tee von frischem Ingwer, um unser „Agni” nach dem Schlaf in Gang zu bringen. Zum Frühstück gab es einen Brei aus Hafer mit Trockenobst, Nüssen und einem Teelöffel „Chyavanprash”. Den alltäglichen Kaffee links liegen zu lassen, fiel uns leichter als gedacht und auch das bedacht langsame Essen am Mittag konnte ich trotz großen Hungers vollbringen. Die ersten Tage waren geprägt von einer gewissen Müdigkeit und einem leichten Gefühl von Schwere.
Doch am dritten Tag spendete mir das sonst sehr ermüdende Mittagessen einen plötzlichen, noch nie zuvor erlebten Energieschub! Meine Mutter berichtete von erhöhter Gelenkigkeit, die ich bei mir jedoch erst nach zwei Wochen merklich feststellen konnte. Auch auf psychischer Ebene tat sich etwas und so schrieb ich am Ende der ersten Woche begeistert in mein Tagebuch: „Ich hatte selten so wenige negative Gedanken wie in den letzten Tagen.”
Zeit für Dinge, die ich als Kind gern gemacht hatte
Ich beobachtete, dass sich vor allem die Themen, über die ich nachdachte, änderten. Allgemeinere Dinge standen im Vordergrund: Systeme, unsere heutige Gesellschaft und andere komplexe Dinge. Meine SMS und Facebook-Nutzung schlief im wahrsten Sinne des Wortes ein, da ich es plötzlich als überflüssig empfand. Brauche ich diese unzähligen Kontakte tagtäglich? Möchte ich mich nicht lieber auf eine Person konzentrieren, statt mit allen gleichzeitig beschäftigt zu sein? Mehr und mehr achtete ich auf mich selbst, malte wieder, las Bücher oder lag einfach nur irgendwo herum. Ich nahm mir Zeit für Dinge, die ich als Kind gern gemacht hatte. Dinge, die meiner Psyche Ruhe und Kraft verleihen.
Schwer fiel es mir jedoch zu spüren, was mein Körper braucht. Wann habe ich genug gegessen? Wann sollte ich mich ausruhen? Bin ich wirklich müde? Mit ayurvedischer Literatur an meiner Seite, die mir in dieser Hinsicht fast wie eine Bedienungsanleitung für unseren Körper erschien, erhielt ich viele Anregungen und mir wurde anhand des Umfangs bewusst, wie komplex unsere „Maschine” Körper eigentlich ist.
Das erste Wochenende
Am ersten Wochenende standen ausgedehnte Spaziergänge, Meditation und Koch-Einlagen auf dem Programm. Doch da ich nicht alle Regeln befolgte, holte mich am Montagmorgen eine penetrante Müdigkeit ein. Als 19-jährige das Wochenende konsequent nach ayurvedischen Leitlinien zu gestalten und dabei die sozialen Kontakte zu meiner Generation völlig zu vernachlässigen, hatte ich nun mal nicht ganz geschafft.
In den Tagen der zweiten Woche wechselten sich Phasen der Euphorie mit Phasen physischer Überanstrengung ab. Und nach einiger Zeit wurde mir bewusst, dass es allein in meiner Hand liegt, Überlastungen überhaupt zuzulassen. Jeder ist seines Glückes Schmied, diese Erkenntnis begleitet mich bis heute.
Meine Erkenntnisse
Wenn ich auch mittlerweile meinen Alltag nicht mehr strikt nach den Leitlinien des Ayurveda ausrichte, so versuche ich doch immer wieder in den richtigen Momenten das Richtige für meinen Körper zu tun. Ohne die Phase der strikten Einhaltung aller Tipps hätte ich niemals gemerkt, mit welchen Stimmungen und Gedanken mein Körper mich belohnen kann und ich bin glücklich darüber, es ausprobiert zu haben. Nicht nur Yoga, Körpermassagen und meditative Übungen sind zu meinem Alltag geworden, sondern gleichzeitig auch mehr Zufriedenheit und eine Menge von neuem Wissen über den Menschen und vor allem über mich selbst.
Wie genau ich das Eisen meines Glückes schmieden muss, werde ich im Laufe meines Lebens schon noch herausfinden. Dies wird in jedem Fall komplizierter sein und länger dauern, als die Vorgänge einer Maschine zu verstehen, die von Menschenhand gemacht ist. Auch mit ayurvedischer Bedienungsanleitung!
Heft 35 – Allergien
Das Ayurveda Journal beschäftigt sich als Titelthema in Heft 35 mit der ayurvedischen Behandlung von Allergien.