Eine traditionelle Form der Schmerztherapie

Im Ayurveda, der Wissenschaft vom Leben, gibt es eine in Europa wenig praktizierte Behandlungsform, das Agnikarma. Es wird in den klassischen ayurvedischen Schriften wie der Ashtanga Hridaya und vor allem in der Sushruta Samhita beschrieben. Mit Agnikarma können Schmerzen durch nicht entzündliche Gelenkerkrankungen wie Tennisarm, Ischialgie, Frozen Shoulder, Muskelschmerzen, Kniearthrosen, Zervikalsyndrom, Fibromyalgie und vergleichbare Erkrankungen behandelt werden. In Indien gibt es Kliniken, die sich ausschließlich auf Behandlungen mit Agnikarma spezialisiert haben.

Bei der hier beschrieben Form von Agnikarma wird mit einem über dem offenen Feuer erhitzten Shalaka behandelt. Das Shalaka kann aus verschiedenen Metalllegierungen bestehen, z. T. auch mit Gold- und Silberanteilen. Shalakas unterscheiden sich durch Form und Legierung und werden dementsprechend in unterschiedlicher Weise eingesetzt.

Die Behandlung

Zu Beginn der Behandlung werden die Schmerzpunkte ertastet und markiert. Das zu behandelnde Areal wird zu Beginn der Behandlung mit einer Triphala-Abkochung gereinigt. Der Therapeut berührt nun mit dem erhitzten Shalaka für den Bruchteil einer Sekunde die markierten Schmerzpunkte. Dabei entstehen kleinste Verbrennungsherde, maximal stecknadelkopfgroß, die sofort mit Ghee oder Aloe Vera-Gel gekühlt werden.

Durch die spitze Form des Shalaka geht die Hitze punktuell sehr tief in das Gewebe, ähnlich einem Laser. Patienten beschreiben dieses Gefühl als reichten Glasröhrchen tief ins Gewebe, in die dann heißes Wasser gegossen wird. Der Schmerz ist durch die sehr kurze, leichte Berührung nicht sehr intensiv. Die Anordnung der „Brennpunkte“ ist von den anatomischen Gegebenheiten, z. B. Knie oder Rücken, und den Schmerzpunkten abhängig. In vielen Fällen bringt schon eine Behandlung nach kurzer Zeit Schmerzlinderung oder beseitigt bestenfalls den Schmerz. Mitunter müssen die Behandlungen auch mehrfach wiederholt werden.

Wie Agnikarma wirkt

Die im Shalaka gespeicherte Hitze wirkt scharf und durchdringend. Vata und Kapha werden verringert, die Durchblutung vermehrt und der Stoffwechsel angeregt. Blockierte Srotas (Kanäle) werden durchlässig. Die therapeutische Wärme verbessert den Zellstoffwechsel und das hilft bei der Beseitigung von Ama (Stoffwechselschlacken).

Schmerzimpulse werden über verschiedene Fasern übertragen. Diese werden entweder durch Hitze, Kälte oder Berührung bzw. durch Schmerz stimuliert. Jegliche, auf Hitze reagierende Formen von chemischen Reaktionen und metabolischen Prozessen werden durch die Erhöhung der Temperatur im Gewebe beschleunigt. Das bedeutet, dass durch die mithilfe des Shalaka zugeführte Hitze die zum Metabolismus gehörigen und benötigten Prozesse wie Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr sowie vermehrter Abtransport von Abfallprodukten und Metaboliten gefördert werden. Wie bekannt ist, lindert Wärme Schmerzen. Das lässt sich so erklären, dass die Schmerzrezeptoren der Haut und die neuromuskulären Endplatten ab ca. 45 Grad erregt werden. Die Fasern für Schmerz und thermische Reize enden im gleichen Areal des Gehirns, aber nur der stärkere Impuls wird wahrgenommen. Die hohe Temperatur des Hitzeimpulses schließt folglich den Schmerzimpuls aus.

Der Langzeiteffekt des Agnikarma ist dadurch zu erklären, dass sich aufgrund des gesteigerten Stoffwechsels die Kapillaren in der behandelten Region erweitern, am meisten dort, wo die Hitze am größten ist. Dadurch entsteht eine vermehrte Durchblutung, also auch bessere Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, sowie ein vermehrter Abtransport von Abfallprodukten. Die Muskulatur wird durch die vermehrte Blutzirkulation elastischer und kräftiger in der Kontraktion. Die Schweißdrüsen reagieren auf die Wärme mit gesteigerter Ausscheidung.

Agnikarma zeigt seine Wirkung bei lokalen Vata und Kapha-Erkrankungen. Sie wirkt auf der Dosha und Dhatu-Ebene in Muskulatur, Schweißdrüsen und Nervenbahnen. Die beschriebene Wirkweise erklärt auch, dass Agnikarma gerade bei therapieresistenten Schmerzzuständen eine Langzeitwirkung hat. Auf die bei einer Arthrose entstandenen Osteophyten (gutartige Knochenwucherungen) und andere strukturelle Veränderungen hat diese Behandlung keinen Einfluss. Sie ist eine reine Schmerztherapie, die bei kleinem Therapieaufwand und relativ geringen Kosten viel neue Lebensqualität bringen kann. Die Resultate begeistern die Patienten immer wieder.


Heft 56 – Anti-Aging

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Schwerpunkt Anti-Aging.