Dr. Boris Bornemann ist Psychologe und Neurowissenschaftler, hat am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften promoviert und forscht zum Thema Körpergewahrsein und Meditation. Aktuell beschäftigt er sich vor allem damit, wie er Meditation und Achtsamkeit möglichst vielen Menschen zugänglich machen kann. Er ist Entwickler und Kopf hinter der Meditationsapp Balloon.

Was genau verstehen Sie unter Meditation?

Ich verweise da gerne auf die beiden Wörter gom und bhavana, die soviel bedeuten wie, sich mit etwas vertraut zu machen oder etwas kultivieren. Meditation ist eine Form des mentalen Trainings, bei dem man sich mit dem eigenen Bewusstsein auseinandersetzt und mit dem eigenen Erleben vertraut macht, um es besser zu verstehen und bestimmte Qualitäten in ihm zu kultivieren. Im Hier und Jetzt sein, den Körper spüren, Gefühle wahrnehmen, freundlich und liebevoll mit mir selbst und anderen sein – diese Fähigkeiten kann ich durch Meditation mental trainieren bzw. kultivieren. Wir versuchen also mit Meditation in den Zustand der gelebten Wirklichkeit zu kommen und nicht einer gedanklich konstruierten Welt nachzuhängen.

Was verändert sich körperlich und mental, wenn wir regelmäßig meditieren?

Es gibt zahlreiche Studien, die aufzeigen, dass regelmäßiges Meditieren unter anderem das Immunsystem stärkt, die Schlafqualität verbessert, die Zellalterung verlangsamt, sowie die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Emotionen verbessert. Außerdem hilft Meditation, Stress zu reduzieren, sowohl subjektiv, als auch objektiv. Es lässt sich messen, dass der Pegel des Stresshormons Cortisol sinkt und wir können z. B. sehen, dass sich im MRT bestimmte Gehirnregionen, wie die für Körperwahrnehmung oder die Steuerung von Angst, auf positive Weise verändern. In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass durch mentales Training Menschen lernen, ihren eigenen Körper besser zu spüren, ihre Gefühle klarer wahrzunehmen und insgesamt ein besseres Körperbewusstsein bekommen. Außerdem verbessert das Training die Fähigkeit, das körperliche Nervensystem (den Parasympathikus) zu steuern. Starke Effekte zeigen sich außerdem in einem Bereich, in dem wir es gar nicht erst einmal erwarten würden: In der Qualität unserer Beziehungen. Dadurch, dass wir uns selber besser verstehen und spüren, können wir uns auch anderen feinfühliger, hilfsbereiter und aufmerksamer zuwenden. Insgesamt zeigt sich deutlich, dass die Lebenszufriedenheit steigt.

Junge blonde Frau praktiziert eine Herzmeditiation, sitzend auf einer Yogamatte, im Hintergrund sind Palmen

Vielen Menschen fällt es sehr schwer, mit dem Meditieren zu beginnen, sie sagen, dass sie zu unruhig dafür sind und hören dann nach ein paar Versuchen wieder auf. Was würden Sie denen raten?

Das, was es uns besonders schwer macht zu meditieren, ist, wenn wir von Anfang an das absolute Nichts im Kopf erwarten. Doch das ist ein häufiges Missverständnis. Auch wenn wir lange Zeit Meditation praktizieren, wird es immer wieder so sein, dass Gedanken auftauchen, denn unser Geist ist immer wieder anders und wir produzieren nun mal kontinuierlich Gedanken.


Akzeptanz spielt bei der Meditation eine große Rolle und wir sollten versuchen den Druck da rauszunehmen – der erste Schritt ist, unsere Anspannung und Unruhe zu akzeptieren, wie sie sind: Die Gedanken zulassen, bewusst wahrzunehmen und dann aber auch wieder vorüberziehen zu lassen und ihnen nicht zu große Aufmerksamkeit zu schenken. Am Anfang ist es hilfreich einen Einstieg über den Atem oder den Körper zu wählen, diese bringen uns immer ins Hier und Jetzt – und darum geht es ja bei der Meditation. Körpererfahrung ist immer eine Erfahrung des gelebten Augenblicks, im Gegensatz zu hypothetischen Gedanken, Fantasien etc. Wenn dann Gedanken auftauchen, lenkt man die Aufmerksamkeit immer wieder zurück auf den Körper und dann wird der Geist meist von sich aus ruhiger. Und auch wenn das mal nicht klappt – wichtig ist, sich der Gedanken bewusst zu sein und sie dann allmählich in den Hintergrund treten zu lassen, dann verlieren sie die Macht über uns.

Gibt es Menschen, denen es schwerer fällt, den Parasympathikus zu kontrollieren, als anderen und in den Zustand der Meditation und Regeneration zukommen? Es gibt ja viele Menschen, die sagen „Ich kann das einfach nicht“.

Ja, tatsächlich hat sich im Rahmen unseres neunmonatigen ReSource-Trainings – einer groß angelegten Studie zum mentalen Training – gezeigt, dass die parasympathische Regulation abhängig ist von genetischen Unterschieden im Oxytozinsystem. Oxytozin wird auch gerne als „Kuschelhormon“ bezeichnet und spielt eine entscheidende Rolle bei altruistischem Verhalten und der Pflege von sozialen Kontakten. Wir fanden heraus, dass Träger des sogenannten Risiko-Allels, einer bestimmten Sequenz im Oxytozin-Rezeptorgen, die größten Schwierigkeiten mit der Regulation des Vagus (größter Nerv des Parasympathikus) hatten. Allerdings sollte man das Ganze nicht überbewerten, die Unterschiede sind sehr gering. Es zeigt sich auch, dass diese Gruppe von Menschen am stärksten vom Training profitierten und zum Ende hin die Unterschiede zwischen den verschiedenen Genotypen vollständig kompensiert werden konnten und somit alle auf dasselbe Niveau parasympathischer Kontrolle gelangen. Alle Menschen können also in einen Zustand von Meditation kommen.

Welche Tipps würden Sie noch geben, wenn man anfangen möchte eine Meditationspraxis zu etablieren?

Regelmäßigkeit ist auf jeden Fall wichtig, um Fortschritte zu erzielen und immer tiefer mit uns selbst vertraut zu werden. Für den Anfang können zehn Minuten dabei vollkommen ausreichend sein. Für viele ist der frühe Morgen ein guter Zeitpunkt zum Meditieren. Das ist aber kein Muss und man sollte einfach ausprobieren, was sich gut anfühlt. Man kann auch meditieren, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt, vorm Schlafen gehen oder immer wieder zwischendurch. Methoden wie der Bodyscan, bei denen wir uns auf den Körper fokussieren, helfen uns zu Beginn der Meditation ins Hier und Jetzt zu kommen. Man kann dabei langsam mit geschlossenen Augen durch den Körper wandern und wahrnehmen, was man spürt, vom Kopf bis zu den Füßen. Dabei bleibt man immer offen für alles, was geschieht. Wir können auch im Liegen, Sitzen oder sogar im Stehen meditieren. Man sollte einfach ohne Druck ausprobieren, was gut tut. Wichtig ist, dass wir entspannt sind und es sich von Anfang an gut anfühlt. Nachdem wir unsere Aufmerksamkeit auf den Körper und Atem gerichtet haben, versuchen wir uns dann in diese Empfindungen fallen zu lassen.

Wie sieht denn Ihre eigene Meditationspraxis aus?

In vielen Traditionen ist diese Frage tabu, weil wir schnell anfangen uns miteinander zu vergleichen. Das ist kontraproduktiv, weil wir alle unterschiedlich sind. Entsprechend brauchen wir alle unterschiedliche Arten von Meditation – und gehen das Meditieren auf ganz unterschiedliche Weise an. Auch in meinem Leben hat sich das über die Jahre sehr verändert. Insgesamt meditiere ich momentan täglich ungefähr eine Stunde.

Und wie kann Meditation insgesamt unser Leben bereichern?

Es geht bei Meditation natürlich nicht darum, sich jeden Morgen zehn Minuten auf sein Meditationskissen zu setzen und dann zu sagen: So abgehakt damit. Wir versuchen in der Meditation Klarheit über das innere Geschehen zu entwickeln und Gegenwärtigkeit zu kultivieren – also immer wieder in den aktuellen Moment zurückzukommen. Diese Tiefe und Klarheit versuchen wir dann aus der formalen Praxis mit ins Leben zu nehmen und uns im Alltag immer wieder daran zu erinnern, in allem was wir tun, beim Arbeiten oder auch beim Essen. Und damit kommen wir dann wirklich in Kontakt mit dem, was gerade passiert und tatsächlich ist: also allem, was wir Hören, Fühlen, Riechen, Sehen oder Schmecken – und nicht, was ich mir gerade nur vorstelle. Wenn wir das regelmäßig machen, begleiten uns diese Tiefe und Klarheit auch im Alltag.

Sie haben einen sehr wissenschaftlichen Zugang zum Thema Meditation. Auch Ihre App beruht auf dieser Idee und Sie arbeiten nur mit Techniken, bei denen es eine wissenschaftliche Grundlage gibt.  Was ist der Grund dafür und lassen Sie die spirituelle Seite von Meditation bewusst außen vor?

Ich stehe selbst immer wieder staunend vor dem Leben. Mich faszinieren Fragen wie: Was ist Bewusstsein? Wie kann es sein, dass wir uns oft als Einzelne fühlen, aber doch mit allem verbunden sind? Die Wissenschaft kann hier ein paar interessante Ideen liefern. Aber wirklich befriedigend sind diese Fragen nur in der direkten Erfahrung zu klären. Meditation ist für mich ein Weg, in diese mystischen Dimensionen des Lebens vorzudringen. Aber nicht jeder interessiert sich dafür. Viel wichtiger ist es auch erst einmal, psychisch und körperlich gesund zu sein. Da setzt die App an. Aber für Interessierte gibt es im Podcast und in ausgewählten Einheiten auch ein paar Wegweiser für diese tieferen Erforschungen, die wir spirituell nennen können.