Zu Gesundheit und Wohlbefinden gehört die Harmonisierung biologischer Rhythmen mit dem eigenen Körper-Geist-System. In diesem Sinne gibt es im Ayurveda die wohl bekannten Vorschläge zur Ernährung und Verhalten in verschiedenen Jahreszeiten.

Was der Winter mit sich bringt

Was sind die vorherrschenden Merkmale im Winter? Zunächst einmal ist es die Kälte zusammen mit dem Wind – und beides führt zu einer Anregung von Vata. Deshalb empfiehlt der Ayurveda für den Winter warme Kleidung und gehaltvolle, erwärmende Nahrungsmittel.

Vergleicht man jedoch die Wohnbedingungen unserer Vorfahren mit heute, dann fällt auf, dass wir mit der Kälte kaum noch konfrontiert werden. Auf der einen Seite das Bild eines alten Bauernhauses mit einer einzigen offenen Feuerstelle, wo man sich nachts in Alkoven und Schrankbetten zusammenlegte, um sich gegenseitig zu wärmen. Auf der anderen Seite führen wir heute ein Leben, wo wir aus der geheizten Wohnung in ein warmes Auto steigen und dann von der Tiefgarage ins Büro gehen.

Den Winter erleben

Um den Rhythmus des Winters mit seinen elementaren Kräften zu spüren, halte ich es für essentiell, sich diesem zunächst einmal zu exponieren. Bewegung im Freien, morgens vielleicht mal kurz barfuß durch den Garten oder Gymnastik in leichter Bekleidung auf dem Balkon, lassen einen die Kälte spüren. Dies schafft im ayurvedischen Sinne „Bala“: Kraft, die sich in Widerstandsfähigkeit gegenüber Kälte und Wärme ausdrückt und das Immunsystem anwirft. Unsere Physiologie ist auf diese Konfrontation ausgelegt. Erst dann springt der Rhythmus an, reagiert der Körper mit Wärmeprozessen, die es einem erlauben, das traditionell gehaltvolle Essen des Winters genießen zu können.

Zeit für Ruhe und Tiefgang

Die zweite vorherrschende Besonderheit des Winters, die mit der Kälte korreliert, ist das Nachlassen des Lichts, die „kurzen Tage“ mit wenig Sonnenschein. Lichtmangel verändert das Zusammenspiel körpereigener Hormone – im Winter nimmt daher das „Schlafhormon“ Melatonin zu und das „Glückshormon“ Serotonin ab. Die typische Wintermüdigkeit ist die Folge. Die Dunkelheit ist in unseren Breiten wesentlich stärker ausgeprägt als in Indien. Sie bringt die Qualität der Stille und der Besinnung mit sich, ein inneres Erahnen für die Prozesse des Sterbens und der Wiederauferstehung. Auch diese Qualität des Winters ist durch moderne Lebensbedingungen und weihnachtliche Hektik in den Hintergrund geraten. Die Stille der Natur, das Schweigen einer verschneiten Landschaft sollte sich jedoch ruhig im Inneren widerspiegeln.

Gleichzeitig bringt uns die Dunkelheit die andere Welt, die Welt der Verstorbenen, näher. Allerheiligen war ursprünglich ein keltisches Totenfest. Ebenso ist in den Raunächten, die Nächte um den Jahreswechsel, die „geistige Welt“ scheinbar durchlässiger. Altes Brauchtum erinnert daran. Immer da, wo im Winter Menschen in Masken durch die Straßen laufen, als Krampus, Knecht Ruprecht, Perchten oder wie sie alle heißen mögen, wurden sie ursprünglich als Vertreter des Totenreiches angesehen.

Die Stille und Einkehr sowie die Besinnung auf unsere Abstammung, auf das, was wir in Essenz sind, löscht alte Verhaftungen und gibt die nötige Kraft für das Wiedererwachen des Lebens im Frühjahr. Das ist der Ayurveda, der ewige Fluss des Wissens vom Leben, wie er sich in unserer Kultur widerspiegelt.


Heft 40 – Ayurvedische Teekultur

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich als Titelthema in Heft 40 mit der ayurvedischen Teekultur.