Ayurvedische Richtlinien und Empfehlungen
„Herr Doktor, ich mache 16:8! Was halten Sie davon?“ Immer öfter kommen Patienten, die schon eine Form des Intervallfastens praktizieren, in die Ayurveda-Sprechstunde. Sie wollen wissen: Mache ich alles richtig? Welche Empfehlungen gibt es im Ayurveda zu diesem Thema?
Intervallfasten, auch als intermittierendes Fasten oder Kurzzeitfasten bekannt, ist zu einem Megatrend in der Ernährungswissenschaft und bei Abnehmwilligen geworden. Unter diesen drei Begriffen werden zum Teil sehr unterschiedliche Vorgangsweisen bei der kalorischen Reduktion zusammengefasst. Sie haben eines gemeinsam: Die Verringerung der Nahrungsaufnahme wird nicht durch Einschränkung bei einzelnen Mahlzeiten, sondern durch Pausen zwischen den Mahlzeiten erreicht. Waren Ernährungswissenschaftler früher ausschließlich darauf konzentriert, was an Nahrungsmitteln aufgenommen wird, kommt jetzt eine in der modernen Ernährungslehre bisher unbeachtete Empfehlung dazu: die Modifikation des Essrhythmus.
Woher kommt dieser Trend?
Die ersten Tierversuche mit intermittierender Nahrungsrestriktion fanden schon Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Die Auswirkungen auf Langlebigkeit wurden damals jedoch kaum beachtet. Spätere Tierversuche zeigten neben der erhöhten Lebenserwartung, dem reduzierten Tumorwachstum und der Gewichtsreduktion auch positive Wirkungen auf die Blutfette, Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Übertragung der Studienergebnisse auf den Menschen
Es gibt bisher nur wenige Studien an Menschen zu diesem Thema, jedoch seit längerer Zeit bekannte Anwendungen. So hat z. B. der österreichische Kardinal Dr. Franz König schon in den 1990er-Jahren „Dinner cancelling“ propagiert und angewendet. 2009 veröffentlichte der Psychologe und Kabarettist Dr. Bernhard Ludwig seine 10:2 Diät. Dabei isst man einen Tag, was man will (1), einen Tag isst man gar nicht (0), das macht zusammen zwei Tage (10:2).
Nobelpreis löste Boom aus
Zu einem Boom der Anwendung des Intervallfastens haben die 2016 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichneten Forschungen des Japaners Prof. Ohsumi geführt. In seinen Studien wurde der Mechanismus der intermittierenden Nahrungsrestriktion auf molekularbiologischer Ebene untersucht. Die Ergebnisse im Hinblick auf die Verlängerung der Zelllebensdauer waren vielversprechend.
Methoden des Intervallfastens
Bei der Anwendung des Intervallfastens auf den Menschen haben sich verschiedene Methoden herauskristallisiert. Am bekanntesten ist die „Alternate Day Fasting“ (ADF)-Methode, die u. a. auch Dr. Ludwig propagierte. Auf einen Tag normaler Ernährung folgt ein Tag, an dem nur neutrale Flüssigkeiten wie Wasser oder Tee getrunken werden. Dr. Ludwig hat damit selbst 20 Kilogramm abgenommen, wie er schreibt. Die zweite weit verbreitete Methode ist als „16:8“ bekannt. Dabei vermeidet man innerhalb eines Tages 16 Stunden lang die Zufuhr von Nährstoffen und isst nur innerhalb der verbleibenden acht Stunden. Verschiedene Autoren geben dabei unterschiedliche Empfehlungen, wann gegessen werden sollte. Bei einigen Methoden wird nicht festgelegt, wie oft oder was man innerhalb der erlaubten Zeiten essen sollte. Wissenschaftlich fundierte Empfehlungen über die Gestaltung der Essenszeiten gibt es bisher bei keiner dieser Methoden. Die Studienlage über die Auswirkungen der verschiedenen Methoden ist noch sehr dünn.
Ayurvedische Sichtsweise
Dass Pausen zwischen den Mahlzeiten günstig sind, ist im Ayurveda nichts Neues. Das gilt sowohl für die Aufrechterhaltung der Gesundheit als auch für die Therapie und ebenso, wenn Gewichtsreduktion das Ziel ist. Fasten als Therapie wird als Langhana bezeichnet, und es heißt, dass Fasten das höchste Heilmittel ist. Die klassischen Texte erklären, wie wichtig es ist, dass das Verdauungsfeuer Agni ungestört arbeiten kann, um die aufgenommene Nahrung vollkommen zu verdauen. Nur, wenn dieser Vorgang ohne Unterbrechung durch neuerliche Nahrungszufuhr abläuft, kann Ojas entstehen – das Fluidum, das den Geist klärt, den Körper verjüngt und das Immunsystem stärkt. Man kann gute Gesundheit nur dann aufrechterhalten oder weiter verbessern, wenn ständig Ojas gebildet wird. Wird hingegen der Verdauungsvorgang durch zu schwere, zu häufige oder ungeeignete Essensaufnahme belastet, entsteht statt Ojas Unverdautes, das als Ama bezeichnet wird. Zu häufig isst man nach dieser Sichtweise immer dann, wenn man etwas Nahrhafteres als Wasser oder Tee zu sich nimmt, bevor man ein klares und kräftiges Hungergefühl verspürt.
Ein Punkt ist dabei entscheidend: Das Verständnis im Ayurveda ist, dass Agni täglich genährt werden muss, um die Produktion von Ojas aufrechtzuerhalten. Deswegen kommt die Methode mit dem Fasten an alternierenden Tagen hier nicht infrage. Aus ayurvedischer Sicht ist noch eine Empfehlung wichtig: Wenn ein Abendessen eingenommen wird, sollte der Abstand zum Schlaf drei Stunden betragen. Da 22 Uhr als Ruhezeit entsprechend der Dosha-Uhr empfehlenswert ist, sollte man spätestens um 19 Uhr zu Abend essen und danach nichts mehr bis zur vorgesehenen Essperiode am nächsten Tag.
Personalisierung durch doshagerechte Anpassung
Viele Menschen mit Vata-Dominanz können zu lange Intervalle zwischen den Mahlzeiten nicht tolerieren, denn es tut ihrer Konstitution nicht gut und kann Vata aus der Balance bringen. In dieser Situation sollte das Schema auf 12:12 oder 13:11 (drei Mahlzeiten mit fünf bis sechs Stunden Abstand) oder auf 14:10 (drei Mahlzeiten mit fünf Stunden Abstand) modifiziert werden.
Menschen mit Pitta-Dominanz können entscheiden, ob sie beim 14:10- oder 16:8-Schema eher auf das Frühstück oder das Abendessen verzichten möchten. Da sie aber im Allgemeinen einen kräftigen Hunger verspüren und das Leben genießen wollen, sind sie von einer Einschränkung oft nur schwer zu überzeugen.
Bei Kapha-Dominanz ist es am einfachsten (und auch am wichtigsten), sich auf ein Intervallfasten einzulassen. Viele Menschen mit dieser Dosha-Konstitution können (und sollten) mühelos ein 18:6-Schema einhalten – also 18 Stunden Pause und zwei Mahlzeiten im Sechs-Stunden-Abstand. Den meisten Menschen mit Kapha-Dominanz fällt es leicht, das Frühstück wegzulassen.
Yogi, Rogi und Bogi
Beim Thema Ernährung beschreiben viele Vaidyas (traditionelle Ayurveda-Ärzte) die drei Archetypen Yogi, Bogi und Rogi. Der Yogi ist der selbstreflektierte Asket, der nur einmal am Tag isst, spontan zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge und Qualität, die sein Geist-Körper-System optimal unterstützt.
Der Rogi (wörtlich: Patient, der Kranke) isst unkontrolliert, dreimal täglich oder öfter und ist sich seiner Essgewohnheiten nicht bewusst. Viele Patienten erzählen mir, dass sie nur zwei- bis dreimal täglich essen, meinen aber damit lediglich die Hauptmahlzeiten. Sie zählen nicht die vielen Zwischenmahlzeiten, die aus mehr oder weniger gesunden Snacks, Softdrinks, Fruchtsäften, Schokolade und anderen Süßigkeiten oder alkoholischen Getränken bestehen und zwischen den genannten drei Hauptmahlzeiten genommen werden. Die ungesündeste Art der Nahrungsaufnahme.
Der Bogi (wörtlich: Genießer) isst aus Freude amn Essen. Ist er in Balance und selbstreflektiert, dann nimmt er zwei bis drei Mahlzeiten zu sich und kombiniert Lebensfreude mit Gesundheit. Ist er im Ungleichgewicht, dann wird er überschattet vom Genuss und gleitet ab in Richtung Rogi.
Intervallfasten wird im Ayurveda unter der Bezeichnung Langhana seit Jahrtausenden praktiziert. Im Gegensatz zu den in der Ernährungswissenschaft gegenwärtig viel diskutierten und allgemein für alle vorgestellten Varianten gibt es im Ayurveda eine Personalisierung, die individuell angepasste Formen des Intervallfastens vorsieht und ermöglicht. Nur dadurch kann intermittierendes Fasten als Lebensprinzip angenommen werden, seine positiven Wirkungen entfalten sowie für Gewichtsreduktion, Leichtigkeit und mehr Wohlbefinden sorgen.
Heft 65 – Gesundheitsprävention
Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Schwerpunkt Gesundheitsprävention.