Zwei Medizinsysteme im Vergleich: Ayurveda und klassische Homöopathie. Wo liegen eigentlich die wichtigsten Unterschiede und was sind die Gemeinsamkeiten?

Ayurveda und Homöopathie – diese großen Heilmethoden scheinen sich im ersten Gedanken zu widersprechen: Ayurveda, die Wissenschaft vom langen und erfüllten Leben, die Kunst des Ausgleichs, will die Störungen durch das Gegenteil ausgleichen, Homöopathie durch Ähnliches, allerdings in kleinster Dosis, heilen.

Dennoch scheint es etwas Verwandtes zwischen beiden Medizinsystemen zu geben. Oder sind es gerade die Gegensätze, die sich anziehen? Oder ist beides der Grund, dass sich die Homöopathie in Indien, dem Ursprungsland des Ayurveda, schon seit dem ersten Erscheinen von Samuel Hahnemanns Grundlagenwerk 1810, dem „Organon der rationellen Heilkunde“, verbreitete und weiterentwickelte?

1866 wurde die erste Fabrikationsstätte homöopathischer Mittel in Indien gegründet. 1891 gab es davon schon über 20. Bis 1931 wurde außerdem 18 Arzneimittelprüfungen in Indien durchgeführt. Der indische Rechtsanwalt und Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi lobte 1936 in einer Rede Homöopathie als „modernste und durchdachteste Methode, um Kranke ökonomisch und gewaltlos zu behandeln“.

Überzeugte die Homöopathie durch ihre Erfolge bei Seuchen und Epidemien? Diese bewirkten schon 1837 eine Aufhebung des Verbotes der alternativen Medizin in Österreich und 1973 in Indien die politische Gleichstellung mit der westlichen Medizin. Übrigens wurde in Indien – hier kaum bekannt – nach Versagen der westlichen Impfstoffe beispielsweise gegen die Japan-Grippe das Impfen mit homöopathischen Hochpotenzen weiterentwickelt und in manchen Regionen flächendeckend und mit Erfolg eingeführt.

„Die Einfachheit ist ein Zeichen der Wahrheit“. Der oberster Grundsatz der Homöopathie ist das Ähnlichkeitsgesetz: „Similia Similibus Curentur“ („Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt“). Der Arzt, Chemiker, Pharmakologe und medizinische Übersetzer Dr. Samuel Christoph Friedrich Hahnemann (1750-1835) entdeckte um 1796, dass die Fieber erzeugende Chinarinde in sehr kleiner Dosis einen fieberkranken Menschen heilen konnte.

Das erforschte er nun systematisch mit weiteren Substanzen, indem er an sich selbst und anderen Gesunden die Symptome akribisch beobachtete, die sich nach täglicher Einnahme einer kleinen Dosis diverser Pflanzen, Mineralien, Tierstoffe und Gifte einstellten. Die Symptome, die bei allen oder den meisten Versuchspersonen vorkamen, wurden als hochwertig, solche, die nicht so häufig zu beobachten waren, als weniger wertig eingestuft.

Jeder Krankheitsfall wird am schnellsten und sichersten durch dasjenige Arzneimittel geheilt, welches im gesunden Körper möglichst ähnliche Erscheinungen hervorruft.

2. Die zweite Entdeckung war, dass eine Heilsubstanz durch dynamisierende Verdünnung intensiver, schneller und spezifischer wirkt. Dazu entwickelte er den Prozess des Potenzierens durch Schüttelstöße mit Alkohol oder Verreiben mit Milchzucker. Wenn z.B. 1g Arsen mit 100g Milchzucker vermischt und dann 100 Mal im Mörser „verrieben“ wird, erhalte ich Arsen C1. Wenn ich davon 1g wieder mit 100g Milchzucker mische und 100 Mal verreibe, erhalte ich Arsen C2. Nach 6 derartiger Verdünnungen und „Verreibungen“ habe ich C6, nach 30 Mal die C30, nach 200 Mal die C200 usw.

3. Die Gesamtheit aller beobachteten Symptome einer Substanz bildet das Arzneimittelbild (AMB). Für die Arzneifindung sind jetzt aber nicht alle Symptome gleich wichtig. Sondern die Geist- und Gemütssymptome und die ungewöhnlichen Symptome führen uns eher und nachhaltiger zum richtigen Heilmittel.
Beispiel Arsen: der „Fürst der Gifte“ erzeugt in giftigen Dosen zunächst Durchfälle mit Bauchschmerzen, Fieber mit trockenen Lippen und brennendem Durst (nach kleinen Schlucken), Schwäche, Unruhe und Angst, schließlich brennende Hautausschläge, Verlangen nach Wärme, Verschlimmerung nachts und in Kälte. Dies können die Symptome einer schweren Cholera sein, wogegen Arsen besonders gut bei der Epidemie von 1892 in Hamburg geholfen hatte.

Der Hauptunterschied von Ayurveda und Homöopathie liegt darin, dass Ayurveda ein uraltes traditionelles Medizinsystem ist, das alle Lebensbereiche mit fachübergreifenden, allgemeingültigen Begriffen erfasst und in dem die gesunde Lebensweise (auch des Arztes) und die primäre Prävention am Anfang stehen. Die Homöopathie ist dagegen relativ jung und ganz auf die Arzneimittelfindung, -herstellung und -anwendung ausgerichtet.

Der Ayurvediker versucht also nach Analyse der Konstitution und Störungen zunächst die Ursachen in Lebenseinstellung, Verhalten und Ernährung abzustellen und je nach Fall zusätzlich ausleitende Methoden oder Kuren, manuelle Verfahren, Medikamente und Rasayanas einzusetzen. Allerdings können Medikamente bei schweren Krankheiten auch im Vordergrund der Therapie stehen.

Der Homöopath sucht in der Regel primär nach dem Simile und berücksichtigt nur ergänzend Ernährung und Lebensweise, insbesondere insoweit, dass die Wirkung des homöopathischen Mittels nicht beeinträchtigt wird. Als Standard dafür gilt das Weglassen von Kaffee, Menthol, Campher und ähnlichen ätherischen Ölen.

Ayurveda hat eine hoch komplexe Lehre und Herstellung von Arzneien und vitalisierenden Mitteln aus Naturstoffen aller Art entwickelt, die auch die Prozesse der Dynamisierung kennt ähnlich der Spagyrik (medizinische Alchemie). Allerdings werden hier die prinzipiell weniger bis sehr vielen Substanzen so kombiniert, dass sich ihre Wirkungen verstärken, mögliche unerwünschte Nebenwirkungen aber aufheben.

Die Gemeinsamkeiten in den Denkweisen von Homöopathie und Ayurveda

  • Beide sehen Krankheit als Verstoß gegen Naturgesetze, Folgen von Fehlverhalten, das manchmal auch Generationen zurück liegen kann, Gesundheit dagegen als spirituelle Lebenskraft.
  • Beide versuchen, einerseits Toxine und andere Störungen auszuleiten, andererseits die Immunkräfte und Autoregulation zu stärken.
  • Beide kennen das Prinzip der Wirkungsumkehr durch Dosisveränderung. Zum Beispiel: „Eine kleine Menge einer schweren Nahrung ist leicht“ (Caraka)
  • Beide kennen nicht nur Stärken, Schwächen, Substituieren und Ausleiten, sondern auch das Regulieren. Nicht nur im grobstofflichen, sondern auch im feinstofflichen, mentalen und energetischen Körper.
  • Beide wissen, dass scheinbar störende oder schmerzende Symptome auch Heilreaktionen sein können

Homöopathische Hochpotenz und ayurvedische Medizin passt das zusammen?

Ayurvedische Diätetik und Reinigungsverfahren sind nach meiner Erfahrung die beste Ergänzung zur homöopathischen Medizin – solange nicht ätherische Öle eingesetzt werden. Denn nicht immer finden wir sofort das richtige Mittel oder seine Wirkung wird blockiert. Eine Homöopathin gestand mir, dass ihr Simillimum, ihr essentielles Konstitutionsmittel, nach jahrelanger Wirkungslosigkeit erst nach der Panchakarma-Kur wieder angeschlagen hatte.

Umgekehrt kann die Homöopathie dem ayurvedischen Arzt gute, schnell wirkende und dabei preiswerte, zusätzliche Heilmittel bieten. Gerade bei Säuglingen und Kindern wirkt Homöopathie besonders gut. Kinder lieben zudem die Kügelchen. Dabei gibt es auch einfache Standard-Rezepte wie Aconitum bei trockenem Fieber mit Durst (typisch bei Ostwind) oder Belladonna bei eher feuchtem Fieber mit wenig Durst, auch bei fast jeder beginnenden Mittelohrentzündung, fast jedem Scharlach wirksam, Spongia D4 bei jedem Pseudokrupp.

Wann braucht die Homöopathie Ayurveda?

Bei chronischen Krankheiten mit Fehlern der Ernährung und Lebensweisen

  • Wenn gut gewählte Mittel nicht wirklich helfen
  • Panchakarma, wenn eine gründliche Reinigung und Umschaltung erforderlich ist
  • Wenn bei schwierigen Krankheiten Hilfe nötig ist und diese über Homöopathie nicht so sicher ist wie über ayurvedische Präparate wie z. B. Morbus Basedow, Hashimoto, Hypertonie

Wann braucht Ayurveda die Homöopathie?

  • Bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern ist sie schnell und sicher
  • Unterstützend bei vielen akuten Krankheiten und Störungen, Seuchen, Epidemien
  • Bei chronischen Krankheiten, wenn es trotz Konstitutionstherapie und Panchakarma nicht weiter geht, eventuell Miasmen (ererbte Fehler) gelöst werden müssen

Unter diesen Gesichtspunkten kann ich Katrin Blüge, Ayurveda-Spezialistin und Homöopathin, beipflichten: „Ayurveda und Homöopathie sind zwei altbewährte und tief greifende Heilsysteme, die einander in der Naturheilpraxis sehr gut ergänzen können. Beide können vor allem im Akutfall rasch und effektiv lindern. Auch im chronischen Krankheitsverlauf führt die Kombination dieser beiden Methoden zu einer schnelleren Genesung. Beide sehen Krankheit nicht allein auf der körperlichen Ebene, sondern der ganze Mensch wird als Einheit von Körper, Geist und Seele angesehen.“


Heft 40 – Ayurvedische Teekultur

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich als Titelthema in Heft 40 mit der ayurvedischen Teekultur.