Weisheit und Klugheit – wer hätte das gedacht – stammen von einer Frau! So steht es in den Veden. Sarasvati, die Muttergöttin, gilt als Göttin der Weisheit und fördert unsere Kreativität.

Brahma, der Göttervater, erschuf sie, indem er sich halbierte und ihr mit seinen Worten Leben einhauchte. Ganz ohne Mann ging es also doch nicht. Welch ein Glück, dass durch diese Dualität die passenden Rollen verteilt werden konnten. Sarasvati hilft uns, die Magie unseres eigenen Lebens zu finden.
Auch ein Gott mag nicht immer alleine sein. Als der Gott Brahma wieder einmal in tiefe Meditation versank, sah er vor seinem inneren Auge ein wunderschönes Wesen. Es lächelte ihn an und berührte ihn in seinem tiefsten Inneren. Als Brahma aus seiner Meditation erwachte, verspürte er das erste Mal das Gefühl von Traurigkeit. Er erinnerte sich an die innige Verbindung und entschloss sich daher, dieses Wesen aus sich selbst zu erschaffen, indem er sich halbierte. Das resultierende Wesen war so wunderbar anzusehen, hell und klar, wie der glitzernde, fruchtbare Fluss, daher nannte er sie Sara (Lebensfluss) und Vati (Besitzerin), zusammengefügt Sarasvati.

Von diesem Moment an war er nie mehr einsam. Sarasvati verfügte über Gaben und Stärken, die ihn jeden Tag aufs Neue erstaunten.

Ihre Stimme war in einem Moment süß und glockenhell, im nächsten Augenblick hatte diese die Dynamik eines tosenden Wasserfalls. Brahma hatte mit Sarasvati „seine“ Göttin gesucht und gefunden. Keine Sekunde gab es Langeweile.
Sie war interessiert zu lernen, wollte alles von ihm wissen. Wissenschaft, Kunst, Kultur und Magie interessierten sie besonders. Er war nie ein Mann der großen Worte gewesen, nun aber blieb ihm nichts anderes übrig, als zu reden und sie zu unterrichten. Schließlich wollte er ihr süßes Lächeln sehen, welches sie ihm nach jeder Lehrstunde schenkte.
Sie war eine leidenschaftliche Beobachterin der Natur. Ihr gefielen die verschiedenen Formen der Bäume die Wolkenbilder, die Spuren der Schlangen im Sand, das Wellengekräusel des Meeres.
Eines Nachts gruppierten sich in ihrem Traum die Symbole der Natur und kreierten immer neue Zeichen. Als sie erwachte, erkannte sie, dass dies eine völlig neue Möglichkeit war, um ihren Nachkommen ihr Wissen nicht nur zu erzählen, sondern auch in gezeichneter Form zu hinterlassen. Als Schöpferin von Zeichen und Schrift erfand sie so das wunderschöne Sanskritalphabet.

Sarasvati ist so vielfältig!

Wahrscheinlich war sie als erste Frau multitaskingfähig und hat diese Eigenschaft allen Frauen weitergegeben.
Auch wollte sie, dass Frieden herrschte, und versuchte, zuerst mit guten Worten einzugreifen, wenn es Krisen gab. Genügte dies nicht, argumentierte sie mit all ihrem Wissen und hatte sehr oft Erfolg damit. Brahma schätzte sie, je länger er mit ihr zusammen war mehr und mehr als weise Ratgeberin und besprach alle wichtigen Entscheidungen mit ihr.

Nichtsdestotrotz war Sarasvati auch eine heißblütige Frau und sah es nicht gerne, wenn Brahma seine Gunst einer anderen Frau gewährte, denn angehimmelt wurde Brahma von vielen Frauen. Mit ihrer Weisheit schaffte sie es jedoch, so manches Tête-à-tête zu verhindern. Wenn sie merkte, dass er sich auf ein heimliches Treffen mit einer Verehrerin vorbereitete, zog sie zum Beispiel ihr schönstes Kleid an und spielte auf ihrer Laute die himmlischste Musik, die er je gehört hatte. Fasziniert hielt er dann inne, setzte sich und lauschte den magischen Tönen, die ihn so verzückten, dass er komplett vergaß, wohin er gehen und mit wem er sich eigentlich hatte treffen wollte. Ein anderes Mal kochte sie alle seine Lieblingsspeisen und brachte ihm einen köstlichen Wein. Als er seine Finger nach dem Mahl abschleckte, tropfte Ghee aus seinen Mundwinkeln und Ambrosia hüllte ihn voller Seligkeit ein.

An eine andere Frau dachte er so nicht mehr. Als er sich einmal mit einer  besonders schönen Frau treffen wollte, fing Sarasvati an, ihn zu umgarnen, verherrlichte ihn als den größten Helden und sagte ihm, welch wunderbarer Mann er sei. Ihre Schmeicheleien flossen wie süßer Honig und ließen ihn vor Seligkeit dahinschmelzen. Je länger sie ihn kannte, umso gezielter konnte sie ihre weibliche Weisheit einsetzen. Sie zollte ihm Respekt, liebte ihn und wollte aber auch zurückgeliebt werden. Brahma verzieh ihr daher die kleinen Tricks, die er als Göttervater natürlich längst durchschaut hatte. Denn auch er liebte sie sehr.

Sarasvati wird meist mit vier Händen dargestellt, welche die vier Aspekte eines jeden Menschen repräsentieren: Geist, Intellekt, Selbst, Bewusstsein. Aber auch Bilder mit acht Händen sind zu finden, wo sie Gegenstände trägt, die im Alltag großen Nutzen bringen und zur persönlichen Entfaltung der Menschen dienen. Ihre Haut schimmert weiß und kostbar. Sarasvati liebt die Schönheit, lässt sich aber nicht von ihr blenden. Als Reittier hat sie daher den stolzen Pfau ausgewählt, der zwar sehr beeindruckend aussieht, gleichzeitig jedoch für seine schlechte Stimme und seinen Eigensinn bekannt ist. So sieht er zwar toll aus, hält jedoch nicht in allen Bereichen, was er auf den ersten Blick verspricht. Damit will Sarasvati uns veranschaulichen, dass alles zwei Seiten haben kann und dass man mit dem nötigen Wissen lernen kann, die Dinge zu analysieren und sich dann selbst eine Meinung zu bilden.

Sarasvati verkörpert die Reinheit, ebenso wie die Fruchtbarkeit und die magische Kraft allen Schaffens. Sie fördert unsere Weisheit. Somit gilt sie als Schutzgöttin für alle Lernenden und hilft uns auch, kreativ zu werden.

Die Gabe für Musik und Tanz, Theater, Literatur und Malerei werden von Sarasvati in jedem Menschen gefördert. Wenn Sie also eine Idee haben, etwas malen, schreiben, oder singen möchten, dann ist Sarasvati in Ihrer Nähe. Geben Sie diesem Impuls nach und erinnern sich daran, dass in uns allen die Möglichkeit schlummert, ein Künstler zu sein.

Om Aim Sarasvati Namaha.


Heft 58 – Just be happy!

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Schwerpunkt Rheuma & Co.