Der Ayurveda strebt ein langes Leben bei bestmöglicher körperlicher und geistiger Gesundheit an, um nebst weltlichen auch transzendente Lebensziele verwirklichen zu können. Die maximal erreichbare Lebensspanne liegt aus heutiger wissenschaftlicher Sicht bereits bei 120 Jahren – Jeanne Calment, der bislang älteste dokumentierte Mensch aus Südfrankreich, erreichte im Jahr 1997 sogar 122 Jahre und 5 Monate.

Unter dem Begriff des häufig zitierten „demographischen Wandels“ wird im engeren Sinne die sich ändernde Altersverteilung in unserer Bevölkerung verstanden. Mitte der 60er Jahre setzte bereits ein starker Rückgang der Geburtenrate ein, zugleich ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Deutschland auf 77,5 (Männer) bzw. 82,5 (Frauen) Jahre gestiegen (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Im Zuge dieser „alternden Gesellschaft“ nimmt ohne ein neues „Gesundheitsmanagement“ die Zahl geriatrischer Erkrankungen zwangsläufig zu.

Unser Gesundheits- und Sozialsystem kann in den kommenden Jahren die Herausforderungen weder wirtschaftlich noch humanitär bewältigen.
Daher gewinnen ganzheitliche Systeme wie Ayurveda, die Menschen aller Altersgruppen Hilfe zur Selbsthilfe anbieten und zugleich die Bedeutung der sich gegenseitig helfenden Gesellschaft hervorheben, zunehmend an Bedeutung – sowohl individuell für den Einzelnen als auch für die Volksgesundheit im Ganzen.

Altern ist ein physiologischer Prozess und keine Krankheit

Der degenerative und gebrechliche Abschnitt des Alterns wird als Seneszenz bezeichnet – hier treten altersspezifische Veränderungen ein, die zu Krankheit führen können.

Im Ayurveda wird das hohe Alter als Vrddhavastha bezeichnet und ist durch eine Dominanz des Funktionsprinzips Vata bei gleichzeitig verringertem Pitta und Kapha gekennzeichnet. Diese Dominanz führt zu einer Zunahme spezifischer Eigenschaften (Guna) wie trocken oder kalt und äußerst sich in zahlreichen physiologischen Alterserscheinungen wie der Abnahme der Knochendichte oder verringerten Durchblutung.

Die vorzeitige Erhöhung dieser Attribute lässt Menschen früher altern, eine übermäßige Ausprägung führt zur schädlichen Entwicklung als Dosha und leitet damit Krankheiten ein.

5 Säulen der „ayurvedischen Geriatrie“ – eine starke Allianz

Die wesentlichen Therapieinhalte zur Behandlung geriatrischer Erkrankungen lassen sich in fünf Gruppen unterteilen:

  • Ernährung
  • Bewegung
  • Regeneration (Rasayana)
  • Ölung (Snehana)
  • Geistesaktivität

Ernährungsmedizin im Alter

Die Stärke des Feuers zur Verdauung aufgenommener Nahrung (Jatharagni) sinkt im Alter und die Zahnfunktionalität lässt nach. Aus diesem Grund ist eine warme, weiche und klein geschnittene Kost empfehlenswert. Um die zunehmende Trockenheit auszugleichen, sollte auf ausreichend Fett geachtet werden – hier empfehle ich nebst Ghee auch den Einsatz cholesterinfreier einfach und mehrfach ungesättigter Fettsäuren in Oliven-, Nuss- und Fischölen. Rohkost sollte auf 2-3x wöchentliche Beilagensalate reduziert werden und etwa die Hälfte des Obstkonsums in gedünsteter Form erfolgen. Fleisch eignet sich bei Gewichtsabnahme und starker Schwächung, vorrangig in Suppenform oder püriert.

Ein gesteigerter Suppenanteil erleichtert den alten Menschen, die erforderliche Flüssigkeitsmenge aufzunehmen – daher empfehle ich gerne den täglichen Verzehr von mindestens 500ml Suppe als eine von drei Mahlzeiten. Auch breiartige Getreidespeisen aus Hafer, Dinkel und Weizen eignen sich hervorragend im Alter als nährende und über das Erdelement stabilisierende Kohlenhydratquelle. Getränke sollten warm bis tiefwarm über den Tag verteilt getrunken werden, auf keinen Fall zu heiß – dies trocknet zusätzlich den Körper und entfernt den schützenden Film auf Membranen und Kanälen (Kleda).

Nehmen Sie alten Menschen nicht die Freude am gemeinsamen Kaffee und Kuchen – achten Sie aber darauf, dass diese als Mahlzeit eingestuft werden und damit einen Abstand von 3-4 Stunden zur vorhergehenden erfordern. Im besten Fall legen Sie die Einnahme auf die Vormittagsstunden, süßen mit Sharkara (Produkt der Amla Natur GmbH) und geben zur Befeuchtung etwas Sahne hinzu.

Bewegungstherapie im Alter

Diese Säule wird im Ayurveda oft vernachlässigt. Tägliche Bewegung ist von größter Bedeutung, da im Alter eine physiologische Degeneration im Bewegungsapparat eintritt. Prüfen Sie zunächst das Bewegungsvermögen und den Status der Muskulatur, die Knochen und Gelenke entlasten muss. Um muskulärem Abbau vorzubeugen, ist ein altersgerechtes Krafttraining 2-3x wöchentlich sinnvoll und erforderlich – dies kann mit gymnastischen Kursen zur Beweglichkeitsförderung und täglichen Spaziergängen an der frischen Luft kombiniert werden. Ich habe zahlreichen Patienten bis zum hohen Alter von 99 Jahren Bewegungstherapiepläne erstellt und konnte feststellen, dass der Aufbau von Muskulatur zeitlich unbegrenzt möglich ist. Auch Yogasanas im Sinne eines „Alten-Yoga“ verbessern die Flexibilität und Koordination. Die Teilnahme an Wandergruppen und damit verbundenen Ausflügen steigert den sozialen Kontakt und beugt Vereinsamung vor.

Rasayana im Alter

Unter Rasayana werden im Ayurveda regenerierende und veredelnde Maßnahmen unter Einsatz von Substanzen oder durch entsprechendes Verhalten verstanden. Folgende 10 indische Pflanzen haben sich aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang als größte Hilfen für altersbedingte Beschwerden bewährt:

  • Amalaki (Emblica officinalis): den Alterungsprozess verlangsamend, Haut und Haare regenerierend, die Sehkraft erhaltend, herzstärkend und die Verdauung stimulierend
  • Atmagupta (Mucuna pruriens): das Nervensystem unterstützend, Parkinson- Symptome lindernd
  • Bala (Sida cordifolia): muskelkraft- und nervenstärkend
  • Brahmi (Bacopa monniera): die Verjüngungspflanze für das Nervensystem, Hirntonikum
  • Guduchi (Tinospora cordifolia): blut- und Gewebe reinigend, Leber entlastend, immunmodulierend und Diabetes vorbeugend
  • Guggulu (Commiphora mukul): in alter getrockneter Form kein Rasayana, dafür aber die wichtigste Pflanze zur Behandlung von Gefäß- und Gelenkerkrankungen, wie sie im Alter häufig auftreten
  • Haridra (Curcuma longa): kein klassisches Rasayana, aber eine der bedeutendsten Pflanzen bei Stoffwechselstörungen und beginnender Demenz
  • Pippali (Piper longum): Atmung erleichternd, Schleimelimination fördernd, Diabetes vorbeugend, Verdauung stimulierend
  • Shatavari (Asparagus racemosus): befeuchtend, verjüngend, stärkend

Rasayana Substanzen können zeitlich unbegrenzt gegeben werden, sofern keine Kontraindikation vorliegt. Dennoch empfehle ich turnusartig alle 3-6 Monate die Rezeptur zu ändern, um Gewöhnungseffekten und damit verbundener verringerter Reaktivität vorzubeugen.

Snehana im Alter

Das biologische Alter korrespondiert mit dem Zustand der Trockenheit und Rauhigkeit im Organismus. Daher misst der Ayurveda Ölungen zur Verjüngung, Prävention und Therapie altersbedingter Erkrankungen große Bedeutung bei. Alten Menschen in Heimen Zugang zu regelmäßigen Massagen zu ermöglichen wäre ein großer Schritt. Die beiden wichtigsten Behandlungen sind a) die Abhyanga mit allen Ganz- und Teilkörperanwendungen sowohl in einzelner als auch synchroner Durchführung, und b) die nährenden Beutelmassagen Pindasveda zur Stärkung, Förderung der Beweglichkeit und Schmerzlinderung im Bewegungsapparat. Hauptöle für die Abhyanga sind Mahanarayana, Kshirabala und Dhanvantara Taila. Ich empfehle hier – die Infrastruktur und finanziellen Möglichkeiten vorausgesetzt – in den Monaten Oktober bis März wöchentliche Anwendungen, von April bis September können dafür Outdoor- Bewegungsprogramme zum Einsatz kommen. Alte Menschen haben ebenso wie andere Altersgruppen Bedarf nach Nähe und Berührung, die in jeder Ayurveda-Manualtherapie erfahren werden können.

Geistige Aktivität im Alter

Um demenziellen Entwicklungen vorzubeugen sind zwei Faktoren entscheidend: aktives Hirnleistungstraining und die Übernahme von Verantwortung im Rahmen sinnvoller Tätigkeiten. Alte Menschen brauchen eine Aufgabe, die sie in einer vorab definierten Qualität und Zeitspanne zu erfüllen haben. Haben Sie ihre „Arbeit“ erledigt, können Sie sich neuen Herausforderungen stellen, die ein wenig größer sind. Unser Gehirn arbeitet in Abhängigkeit von seiner Nutzung – es baut wie ein Muskel ab, wenn es nicht und nur unzureichend herausgefordert wird.

Ich arbeite hier vorrangig mit mathematischen und linguistischen Übungen, bevorzugt im sozialen Kontakt und in ausgewogenem Verhältnis von spielerisch und ernsthaft. Weitere wichtige Aktivitäten des Geistes im Alter sind die Entwicklung von Weitsicht, Überblick, innerer Ruhe, Gelassenheit, Geduld und Gleichmut. Ihre langjährigen Lebenserfahrungen sollten sie aktiv an junge Menschen weitergeben – nicht belehrend und besserwissend, sondern tolerant, offen und neugierig. Auch die Beschäftigung mit dem näherkommenden Tod und der damit verbundenen Transzendenz zählt zu den wichtigen Aufgaben. Auch hier kann der philosophisch durchdrungene Ayurveda wichtige Hilfestellungen geben.

Alte Menschen sind keine Belastung einer Gesellschaft, sie sind eine mögliche Quelle von Weisheit. Um als solche vorbildhaft dienen zu können, bedarf es aktiver Anstrengungen seitens der Alternden: Definieren Sie den „Ruhestand“ um und tauschen Sie das leidvolle „Überleben“ in eine gelassene Teilnahme am aktiven Leben. Alte Menschen werden dringender denn je gebraucht!


Heft 32 – Gesünder älter werden

Nach den Wechseljahren ist der Körper in der Vata-betonten Zeit oft neuen Umständen ausgesetzt. Wie sie auch im Alter gesund und im Einklang mit ihrem Körper und Geist leben können – Ein paar Tipps aus den alten Veden.