Die Jahreszeiten haben einen starken Einfluss auf die Doshas. Sommerzeit ist Pitta-Zeit, in Mitteleuropa dauert sie von Juni bis September und ist warm bis heiß und etwas feucht. Mit zunehmender Hitze vermehrt sich Pitta-Dosha – mit allen bekannten Folgen für Stoffwechsel und Psyche. Empfehlenswert ist es, sich beim Auswählen von geeigneten Yogaübungen nicht stur am Kalender zu orientieren, sondern auch „Wetterkapriolen“ zu berücksichtigen.

Yoga gehört zu den Grundlagen der ayurvedischen Gesundheitsvorsorge und Therapie. So gibt es nach Ayurveda nicht „den“ gesunden Yogastil oder „das“ gesunde Asana, sondern die individuell und jahreszeitlich angepassten Yoga-Asanas und die individuell passende Art, diese zu üben.

Yoga üben im Sommer

Aus ayurvedischer und gesundheitsorientierter Sicht soll ausgleichend und sattvisch geübt werden. Für Menschen mit hohem Pitta-Anteil ist es im Sommer besonders wichtig, die Asanas und Atemübungen nach ausgleichenden Gesichtspunkten auszuwählen, achtsam zu üben und falschen Ehrgeiz zu vermeiden. Sie sollten darauf achten, ihr inneres und äußeres Gleichgewicht zu erhalten. Gesundheitsschäden durch Yoga müssen nicht sein. Sie entstehen in der Regel durch eine überehrgeizige, unausgeglichene und einseitige Übungsweise.

Bei hohen Temperaturen und längeren Übungseinheiten kann der Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen sehr hoch sein. Schon ein Flüssigkeitsmangel von einem Liter senkt die Leistungsfähigkeit unseres Körpers um ca. zehn Prozent. Daher kann es notwendig sein, zwischen den Asanas etwas zu trinken.

Yoga bei Erkrankungen

Menschen mit Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssen unbedingt auf eine Pitta reduzierende Übungsweise achten. Bei akuten Erkrankungen darf nicht geübt werden!

Pitta reduzierend üben

Prinzipiell soll auf einen Ausgleich von Kraft, Beweglichkeit, Regeneration und Entspannung geachtet werden. Maximale Spannung und Anstrengung sind zu vermeiden. Es soll hingebungsvoll, konzentriert, kraftvoll und in moderatem Tempo geübt werden. Der Körper soll auch in den Haltephasen der Asanas möglichst kühl und entspannt bleiben. Die geeignete Atmung während der Asanas ist kühlend und entspannend, die Ausatmung wird betont. Es wird evtl. durch den Mund ausgeatmet. Pitta reduzierende Atemübungen wirken kühlend und beruhigend. Der Geist bleibt dabei bewusst und ruhig.

Vorsicht – oder wie nicht geübt werden sollte

Flüssigkeitsverlust, Überhitzung und Überehrgeiz führen nicht zu einer Entschlackung und Entgiftung, sondern zur Verschlechterung von Agni, des Stoffwechsels. Dadurch kann es zu einer Ansammlung von Ama und letztlich zu Gesundheitsschäden kommen. Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht laufen die Stoffwechselprozesse unseres Körpers in einem schmalen Körpertemperaturbereich um 37° C am besten. Auch die Leistungsfähigkeit und der Übungseffekt sind in diesem Bereich am größten. Erhöhungen der Körpertemperatur und Flüssigkeitsverlust verschlechtern den Stoffwechsel drastisch und erhöhen das Gesundheits- bzw. Verletzungsrisiko. Anstrengende Übungsformen, insbesondere Ashtanga-Yoga, müssen unbedingt nach den oben genannten Regeln praktiziert werden.

Bikram-Yoga ist aus ayurvedischer Sicht besonders fragwürdig. Bereits Außentemperaturen von 30° C führen beim Yoga üben ebenso wie beim Sport zu einer Erhöhung der Körperkerntemperatur und zu einem Leistungsabfall. Temperaturen von 40° C führen nicht zu einer Entspannung der Muskeln und Sehnen, sondern zu einer schlechteren Funktion aller Agnis, d. h. des gesamten Stoffwechsels – mit allen im Ayurveda und in der modernen Medizin bekannten Folgen.

Muskelkrämpfe und Kreislaufkollaps sind typische Symptome. Eine Temperaturerhöhung des Körpers über 41° C ist sogar lebensgefährlich. Im Sommer und für Menschen mit hohen Pitta-Anteilen ist BikramYoga daher kontraindiziert.

Kühlende, ausgleichende Yogapraxis

Wenn im Sommer die Temperaturen steigen, sollte die Yogapraxis uns nach einem anstrengenden Arbeitstag geistig und emotional beruhigen und den erhitzten Körper sanft kühlen. Die Asanas sollten moderat geübt werden: langsam fließend und mit dem Atem synchronisiert. Wenn der Atem langsam, voll und entspannt fließt und auch die Bewegungen entsprechend ruhig ausgeführt werden, dann stellt sich das Nervensystem auf Entspannung ein. Es entsteht eine kühlende Wirkung auf allen Ebenen.

Einstimmung: Kühlende Atmung

Shitali oder Shitkarin

  • Sitzen Sie in einer aufrechten Haltung und atmen Sie ruhig und tief. Strecken Sie die Zungenspitze ein Stückchen aus dem Mund heraus, formen dabei eine Art Röhre oder Röllchen: Shitali. Atmen Sie langsam über die Zungenröhre ein. Schließen Sie dann den Mund, entspannen Sie die Zunge und atmen Sie über die Nase aus.
  • Falls Sie die Zunge nicht zu einer Röhre formen können, legen Sie die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne an den Gaumen. Die Lippen bleiben ein wenig geöffnet: Shitkarin. Atmen Sie durch den leicht geöffneten Mund über die Zunge ein. Schließen Sie dann den Mund, entspannen Sie die Zunge und atmen Sie über die Nase aus.
  • Wiederholen Sie die Atemübung ein bis drei Minuten lang und spüren Sie die Wirkung.

Variante der Katzenbewegung

Cakravakasana

Die Katzenbewegung ist eine Basisübung im Yoga, um durch Dehnungen der Rückenmuskulatur Verspannungen zu lösen und die Wirbelsäule zu mobilisieren. Werden die Bewegungen mit einem ruhig fließenden Atem geübt (durch die Nase einatmen und langsam durch die leicht gespitzten Lippen ausatmen), wirkt Cakravakasana Pitta beruhigend.

  • Im Vierfüßlerstand befnden sich die Handgelenke unter den Schultern, die Knie etwas hinter den Hüftgelenken. Die Hände drücken mit gespreizten Fingern in den Boden. Einatmend kippen Sie das Becken mit dem Steißbein nach oben, der Rücken sinkt leicht in ein Hohlkreuz, Brustbein und Kopf heben sich. Ausatmend ziehen Sie den Bauchnabel nach innen, runden den Rücken zur Decke und ziehen das Kinn Richtung Kehle. Wiederholen Sie dies einige Male, danach lassen Sie den Rücken wieder ganz gerade werden.
  • Einatmend heben Sie nun den rechten Arm und das linke Bein, bis Arm und Bein parallel zum Boden ausgerichtet sind. Dehnen Sie sich in der Diagonalen lang. Ausatmend runden Sie den Rücken und ziehen den rechten Ellbogen, das linke Knie und den Kopf unter den Körper zur Mitte. Wiederholen Sie dies drei bis fünf mal und wechseln Sie dann die Seite.
  • Setzen Sie sich zurück auf die Fersen, beugen Sie den Oberkörper über die Beine, stützen Sie die Stirn auf Ihre Hände und spüren Sie in der Kindhaltung nach. Kommen Sie dann langsam über die Hocke zum Stehen.

Variante der Schildkrötenhaltung

Kurmasana

Diese Haltung symbolisiert den Yogaweg: das Zurückziehen der Sinne, die ständig Impulse von außen nach innen tragen. In Kurmasana werden Sinne und Geist entspannt und regeneriert – vom anregenden Sympathikus wird auf den beruhigenden Parasympathikus umgeschaltet.

  • + Setzen Sie sich mit gegrätschten Beinen auf Ihrer weichen Yogamatte auf eine leichte Erhöhung (z. B. eine gefaltete Decke oder ein kleines, festes Kissen). Die Sitzknochen befnden sich auf der vorderen Kante der Sitzunterlage. Beugen Sie leicht die Beine an, sodass die Fußsohlen zueinander gerichtet sind.
  • + Beugen Sie sich aus den Hüftgelenken heraus nach vorne – der untere Rücken ist in der Dehnung lang. Schieben Sie die Arme von innen unter den Beinen durch und versuchen Sie, mit den Händen die Füße von außen zu fassen. Die Unterarme liegen dabei am Boden oder sind bodennah.
  • + Entspannen Sie die Bauchdecke, lassen Sie den Kopf sinken (evtl. ist es angenehm, den Kopf auf einen Klotz oder ein dickes Polster aufzulegen) und ziehen Sie sich ganz in sich zurück. Atmen Sie ruhig in den Bauchraum und versuchen Sie, immer tiefer zu entspannen. Bleiben Sie etwa drei Minuten in Kurmasana.
  • + Wenn Sie die Haltung verlassen wollen, drücken Sie sich mit den Händen langsam hoch zum Sitzen. Begeben Sie sich achtsam in die Rückenlage.

Kindhaltung in der Rückenlage

Apanasana

Diese Asana bezieht sich auf Apana-Vayu, den Aspekt der Lebensenergie, der für das Loslassen und jede Form von Ausscheidung zuständig ist. Es wird durch die Nase eingeatmet und langsam durch den leicht geöffneten Mund ausgeatmet.

  • In der Rückenlage ziehen Sie beide Beine an den Bauch und legen die Hände auf die Knie, die Fingerspitzen zeigen zu den Füßen. Die Beine und Füße sind völlig locker und entspannt, sie werden nur von den Händen gehalten und geführt. Der Kopf liegt mit langem Nacken am Boden, die Augen sind geschlossen.
  • Ausatmend ziehen Sie die Knie dicht an den Bauch (das Becken hebt sich dabei nicht vom Boden ab) – einatmend schieben Sie die Knie weg, bis die Arme gestreckt sind. Üben Sie ein bis drei Minuten in Ihrem Atemrhythmus.
  • Spüren Sie dann für einige Momente mit ausgestreckten Beinen in der Rückenlage nach.

Meditation – Visualisierung des Mondes im Stirnraum

  • Die Visualisierung des Mondes im Stirnraum unterstützt das Zur-Ruhe-Kommen des Geistes: Sie können sich von Gedanken, Sorgen und Ängsten befreien – den erhitzten, aufgeregten Geist entspannen.
  • Üben Sie in der Rückenlage, mit vor dem Becken aufgestellten Füßen, oder in einem bequemen, aufrechten Sitz. Atmen Sie ruhig durch die Nase ein und aus.
  • Gehen Sie mit der Wahrnehmung zum Stirnraum und spüren Sie ihn in seiner Länge, Breite und Tiefe. Beobachten Sie, was Sie im Stirnraum wahrnehmen: vorbeiziehende Gedanken, innere Bilder, Gefühle, Erinnerungen, Tagträume etc. Entspannen Sie mehr und mehr, indem Sie alles, was sich im Stirnraum bewegt, vorbeiziehen lassen.
  • Lassen Sie dann im Stirnraum ein inneres Bild des Mondes (Vollmond oder Sichel) entstehen. Stellen Sie sich vor, wie der Mond sein kühlendes, beruhigendes Licht im Stirnraum verströmt – mit jeder Ausatmung aufs Neue, bis der ganze Stirnraum mit sanftem Mondlicht erfüllt ist. Lassen Sie die besänftigende Mondenergie auf sich wirken, und verweilen Sie so lange in dieser Visualisierung, wie es Ihnen angenehm ist.
  • Gehen Sie dann gelassen und entspannt zurück in Ihren Alltag. Namaste!

Zum Abschluss

Üben Sie Dosha ausgleichend, sattvisch und zielstrebig. Aber denken Sie daran: Der Mensch ist ein zielstrebiges Wesen, aber meistens strebt er zu viel und zielt zu wenig. (Günter Radtke)


Heft 50 – Strahlende Haut

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