Schön straff: mit Yoga und Ayurveda zu einem gesunden Bindegewebe

„Muskeln sind das Make-up von heute“ – dieser Satz fiel unlängst auf einem Symposium während einer großen Fitnessmesse. Und tatsächlich ist ein vermeintlich perfekter, gestählter und geformter Körper eine Sehnsucht, die immer mehr Menschen befällt. Und die sind bereit, immer mehr für ihren Traum zu riskieren: Laut Studien¹ schlucken von den 9,1 Millionen Nutzern in deutschen Fitnesszentren 22 Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen leistungssteigernde Mittel.

Dass künstlich hergestellte Hormone nicht gesund sind, leuchtet ein. Mittlerweile warnen Mediziner aber auch vor „zu viel“ Sport. Leistungs- oder zu intensiver Sport begünstigt die SI (Silent Inflammation), jene chronischen Entzündungen, die unterhalb der Schwelle verlaufen, die normalerweise klinische Symptome hervorrufen würde. Man fühlt sich dabei nicht richtig wohl, aber auch nicht richtig krank.

Einen wesentlichen Punkt bildet dabei das Bindegewebe einschließlich des sogenannten „Fasziensystems“. Dieses existiert in allen Teilen des Körpers, also auch im Bereich der Gefäße, des Nervensystems und der inneren Organe – was dazu führt, dass sich mehr oder weniger intensiv jede Beeinträchtigung – auch durch Anabolika oder allzu intensive körperliche Betätigung – auf das Bindegewebe auswirkt. Schauen wir uns dazu das umfassende Verständnis dieser Systeme im Ayurveda an: Unter Mansa versteht man das Bindegewebe und Dhatu bedeutet, das was zusammenhält.

Mansa Dhatu oder das Bindegewebe ermöglicht Bewegung und Stoffwechsel in den Organen, schützt vor äußeren Einflüssen und muss, weil es ständig verbraucht wird, regeneriert werden. Die Ernährung und der Stoffwechsel müssen gut funktionieren, damit dies möglich wird. Ein zu wenig an Nahrung wird auch ein zu wenig an Bindegewebe zur Folge haben. Wer sich nur von Salaten und Früchten ernährt, kann kein schönes Bindegewebe erwarten. Dazu braucht es eine proteinreiche Ernährung, denn die kollagenen und elastischen Fasern des Bindegewebes bestehen vor allem aus Proteinverbindungen.

70 Prozent der Proteine in unserem Körper finden sich im Bindegewebe und in den Faszien. Bei zu wenig Bindegewebe schrumpfen Oberschenkel, Hüften und Nacken. Die  unangenehmeren Folgen sind Müdigkeit, Schlaffheit der Glieder, Herzklopfen, Koordinations- und Konzentrationsstörungen sowie im psychischen Bereich Ängste und Unsicherheit. Ein zu viel an Bindegewebe führt zu Schwellungen der Drüsen, Tumoren, Myomen, Vergrößerung der Leber, Herzrasen, Bluthochdruck und im psychischen Bereich zu aggressivem Verhalten und ständiger Gereiztheit.

Es gilt also, die eigene konstitutionelle Mitte zu finden. Das wird möglich, wenn die Ernährung an die eigene Konstitution und Lebenssituation angepasst wird. Es gibt nun mal kein einheitliches Schönheitsideal. Vata-Menschen haben die geringste Muskelmasse, sind dafür agiler und bewegungsfreudiger. Am anderen Ende der Skala sind die Kapha-Frauen und -Männer, die immer mehr Körpervolumen haben werden. Dafür sind sie beständiger und widerstandsfähiger. Die Pitta-Konstitutionen bewegen sich in der Mitte. Hier sind die Gewebestrukturen ausgeglichen. Der Ayurveda geht davon aus, dass jede einzelne Frau und jeder einzelne Mann die absolut perfekte Konstitution besitzen, die sie dabei unterstützt, die ureigene Bestimmung zu erfüllen.

Im gesunden Zustand sind wir alle perfekt, und auch wenn Abweichungen vorhanden sind, so dienen diese, um zu uns selbst zurückzufinden. Deshalb lohnt sich der Vergleich mit zeit-geistigen oder gesellschaftlichen Schönheitsidealen nicht. Im Gegenteil: Zu viel Sport, Diäten und andere Anpassungsmaßnahmen an solche Ideale beschleunigen den Alterungsprozess und reduzieren die Immunität. Regelmäßiges Yoga-Üben fünfmal die Woche hilft bei der Unterstützung des wichtigen Gewebes. Kapha-Leute sollten mehr Haltungen machen, die Kraft benötigen, Vata-Typen dagegen mildere Übungen ohne zu überdehnen und Pitta braucht wieder die ausgewogene Mitte zwischen kräftigen und milden Übungen. Ähnliches gilt für Sport: Athletisches Training für Kapha, Mannschaftssport für Pitta-Menschen, die Herausforderungen lieben und spielerische, leichte Sportarten für Vata.

Auch hier gilt die Regel: nie mehr als fünfmal die Woche. Der Nutzen von Sport für das Bindegewebe wird überschätzt.

Ein äußerlich attraktives Bindegewebe ist nur möglich, wenn die Ernährung auch die Komponenten enthält, aus denen das Bindegewebe besteht, nämlich Proteine. „Ich esse kein Fleisch, keinen Fisch, keine Milchprodukte und von Hülsenfrüchten kriege ich Blähungen – darum esse ich sie auch nicht“, höre ich oft genug von meinen Klienten. Im Ayurveda lautet die einfache Regel: Gleiches vermehrt Gleiches. Ohne ausreichende Proteine ist weder quantitativ noch qualitativ hochwertiges Bindegewebe möglich, und so sieht man sehr schnell sehr alt aus, wenn man diese Regel nicht befolgt.

Umgekehrt gilt auch, dass ein zu viel an Proteinen die Bindegewebsstrukturen überschießen lässt. Mögliche Wirkungen sind Gewebewucherungen oder Gicht. Die Ernährung muss sich deshalb grundsätzlich immer an der Grundkonstitution ausrichten.

Hier gilt für Kapha mehr Proteine als Kohlehydrate und wenig gute Fette, bei Pitta empfehle ich etwa genauso viele Proteine wie Kohlehydrate und auch hier ist Vorsicht bei Fetten geboten. Bei Vata sind mehr gute Fette möglich, etwas mehr Kohlehydrate als Proteine sind ideal. Proteinreiche Zusatznahrung sollte nur bei effektiven Mangelerscheinungen konsumiert werden.

Im Ayurveda haben wir eine Vielfalt von physikalischen Therapien, um dieses Gewebe aus Faszien, Muskeln, Sehnen und Bändern äußerst individuell zu behandeln. Mit proteinhaltigen Kräuterstempeln oder aufwändig zubereiteten, nährenden Massageölen, die durch die Haut- barriere direkt ins Gewebe dringen und dem angepassten Druck auf die verschiedenen Gewebestrukturen, können alle Bindegewebe-Arten optimal und auf gesunde Art und Weise in optimalen Zustand gebracht werden. Zugleich werden Ansammlungen von Flüssigkeit und Fett effektiv beseitigt.

Ich habe in meiner südindischen Klinik immer wieder die Kampfkunstmeister bei ihren Übungen bewundert. Da steckten fast übermenschliche Kräfte in schlanken Frauen und Männern. Ihre Muskulatur war eher angedeutet als prominent sichtbar, das Gewebe fest und doch elastisch. Dies wird durch tägliche Ölmassagen vor den Trainingsphasen mit Schwimmen, Klettern und speziellen Übungsabläufen erreicht. So wie unser ganzer Körper sofort reagiert, wenn wir mal auf einen spitzen Kieselstein auftreten, reagiert jede Faszie, jeder Muskel, jedes innere Organ und das ganze Nervensystem (wiederum via die Faszien) auf jeden Druck von außen – körperlich wie emotional.

Wenn ich, wie vergangenen Monat geschehen, nach 19 Stunden Anreise in Bangalore versteift und mit Rückenschmerzen müde ankomme – ayurvedisch ausgedrückt mit einem Vata-Überschuss – weiß ich eine sofortige Hilfe: eine kräftige Ayurveda-Tiefenmassage mit einem Vata regulierenden Öl. Also meldete ich mich gleich beim Check-in im Hotel zu einer Ayurveda-Tiefenmassage an. Die Therapeutin führte ihre Arbeit sehr professionell aus – und ich war fit für die nächsten sieben Tage Hochzeits-Feierlichkeiten bei meiner Nichte Padmapriya.

Zusammenfassend möchte ich nochmals hervorheben, dass es die lange vernachlässigten Faszien sind, die gewährleisten, dass das Muskelsystem überhaupt funktioniert und die Gelenke stabil bleiben. Faszien sind auch das tragende System für das Nerven-, Gefäß- und Lymphsystem. Wer also ein gesundes und attraktives Bindegewebe wünscht, muss mit Hilfe der oben genannten Tipps die Faszien nähren und pflegen.


¹ Universitätsklinik Lübeck


Heft 47 – Mitten im Leben

Das Ayurveda Journal beschäftigt sich in dieser Ausgabe als Titelthema mit dem Glück in mittleren Jahren.