Die Tatsachen des medizinischen Alltags sind manchmal erschreckend, wenn der Chef eines führenden Pharmaunternehmens erklärt: „Es ist leider eine Tatsache, dass Medikamente heute im Durchschnitt für etwa die Hälfte der Patienten nicht optimal wirksam sind, und bei bestimmten Indikationen ist die Erfolgsquote noch geringer.“

So kommt es im schlimmsten Fall vor, dass die Diagnose richtig gestellt wurde, der Patient auf die medikamentöse Therapie nicht anspricht, aber Nebenwirkungen davonträgt. Nicht verwunderlich, dass ein neues Schlagwort seit Jahren unter Schulmedizinern die Runde macht: „personalisierte Medizin“. Sie soll ein neues Therapiezeitalter einläuten. Die rasant fortschreitenden Entdeckungen der molekularen Mechanismen hinter einer Krankheit bergen angeblich ein immenses Potential an Therapiemöglichkeiten. Alle bedeutenden Pharmaunternehmen sind schon auf den Zug aufgesprungen und erhoffen sich vom Paradigma „Jedem Patienten seine individuelle Therapie“ satte Gewinne. Doch wer wird sich diese neue Medizin noch leisten können? – fragt der Verfasser des Artikels in der wissenschaftlichen Beilage der „Presse“.

Ein altes Problem

Agnivesha, der Begründer des Ayurevda, lehrte die personalisierte Medizin vor rund 3500 Jahren. Denn wenn wir jedes Krankheitsbild mit den gleichen Therapie und Medikamenten behandeln, dann sind auch im Ayurveda viele Behandlungen nicht optimal wirksam. Das scheint ein ebenso altes Problem wie die Medizin selbst zu sein. Wenn heute die Hälfte der verschriebenen Medikamente wirkungslos bis gefährlich ist, dann ist das nicht nur ein Problem für die betroffenen Patienten. Es ist von größter gesundheitspolitischer Relevanz: Der Staat – die Steuerzahler, die Versicherer – die Prämienzahler und schließlich auch die Patienten geben jedes Jahr Milliarden von Euro umsonst aus.

Zu behaupten, wir Ayurveda-Mediziner hätten die Lösung, wäre anmaßend und entspricht nicht der heutigen Faktenlage. Aber das Konzept der individuellen Konstitutionen – der körperlichen wie auch der psychischen – bildet die Ausgangslage bei gesunden Menschen. Denn Abnormität kann ich nur feststellen, wenn der gesunde Zustand feststeht. In der Kranheitslehre kommen dann weitere Differenzierungsmerkmale wie der oder die verursachenden elementaren Faktoren wie Vata, Pitta oder Kapha sowie zusätzlich das Konzept der immundefizitären Strukturen und Organe hinzu. Zusammen bieten sie dem versierten Diagnostiker äußerst feine Instrumente für eine stark individualisierte Therapeutik.

Das Ziel von Agnivesha und der über Jahrtausende erfolgreichen Gilde der großen Ayurveda-Ärzte bilden diverse, in der Praxis erprobte, personalisierte Konzepte. Uns Ayurveda-Mediziner hat nie die Krankheit, die Zelle oder Moleküle fasziniert, sondern immer der Mensch.

Vaisheshika und Sankhya

Ich bin überzeugt, dass Moleküle oder Gene Lösungsansätze für eine personalisierte Medizin bieten können. Die vedische Quantenphysik (Vaisheshika) und Evolutionslehre (Sankhya) deuten nicht nur daruf hin, sondern die ganze Konstitutionsthese des Ayurveda beruht auf der Annahme der individuellen genetischen Struktur. Darum nehme ich an, dass eine personalisierte Medizin über Molekularforschung möglich, aber extrem aufwendig ist. Schließlich wird aber ihre Umsetzung eine holistische Betrachtungsweise voraussetzen.

Die wahre Kunst liegt darin, mit möglichst einfachen Mitteln einen möglichst großen therapeutischen Effekt zu erzielen. Daran sollte jeder sogenannte Fortschritt gemessen werden. Die Lösung wäre einfach: Je weniger Menschen und Material zwischen Arzt und Patient stehen, umso günstiger wird die Behandlung. Wir hatten in der Schweiz oder Deutschland angeblich schon vor 25 Jahren das beste Gesundheitswesen der Welt – jedenfalls wurde uns das damals so vermittelt. Nur die Kosten betrugen weniger als die Hälfte der heutigen Kosten. Woher bitte kommt dieser Zuwachs, wenn nicht von zu viel Infrastruktur, Apparaten, Medikamenten, Personal und allen, die auch noch mitverdienen?

Da es bei Krankheit und lebensbedrohenden Zuständen um die Urfakten jeglicher Existenz geht, nämlich Geburt, Tod, Alter und Krankheit, stoßen wir auf offene Wunden und massive Ängste. Deshalb will niemand das Risiko eiens grundlegenden Kurswechsel verantworten. Dazu bedürfte es einer grundphilosophischen Auseinandersetzung mit den existenziellen Fakten des Lebens. Und das kann nur ein ganzheitliches Gesundheitskonzept wie Ayurveda bieten.


Heft 29 – Ernährung aus Sicht des Yoga

Das Journal über die Ernährung aus Sicht des Yogas – welche Lebensmittel für geistige Klarheit sorgen, wo die Unterschiede zur ayurvedischen Ernährungsphilosophie liegen und ihre Gründe.