Aus sauer wird süß

Das königliche Obst des Ayurveda ist hart, faserig und schmeckt „brrrr…“: extrem sauer, herb und zusammenziehend. Doch Amla-Baum und -Beere gelten in Indien als heilig und im Ayurveda als voller segensreicher Wirkungen. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen immer deutlicher die heilsamen Kräfte.

Es wird erzählt: Am Ende einer Weltzeit war der Schöpfergott Brahman so gerührt, dass erweinen musste. Wo seine Tränen auf die Erde fielen, entstand eine neue Pflanze: der Amla- Baum, der die Liebe des Gottes für die Lebewesen verkörperte. Der Baum heißt deshalb auch „Dhatri“, was „nährende Mutter“ bedeutet.

Emblica officinalis“ heißt die verehrte Pflanze mit botanischem Namen, „Amla“ auf Hindi und „Amalaki“ auf Sanskrit. Die Frucht findet als Lebensmittel in der indischen Küche Verwendung – in Pickles, Marmeladen, Chutneys und Fruchtsäften. Ayurvedische Klassiker preisen be- sonders die grün-gelbe tischtennisballgroße Frucht und schreiben ihr Heilkräfte zu wie kaum einer anderen ayurvedischen Frucht.
„Amalaki ist das beste Verjüngungsmittel von allen“ heißt es in der Charaka Samhita. Der Ayurveda empfiehlt Amla bei Erkältung und dermatologischen Problemen, zur Stärkung der Widerstandskraft und als Schutz vor Allergien, zur Pflege von Haut und Haaren, bei Krankheiten von Atemwegen, Magen-Darm-Trakt und Harnapparat, bei Entzündungen, Herzbeschwerden und vielem anderen.

Nach ayurvedischer Lehre gleicht Amla alle drei Doshas aus, insbesondere aber das Pitta-Dosha. Allerdings lässt sich dies nicht unmittelbar aus den Eigenschaften ablesen, sondern hat komplex vernetzte Ursachen. So bedeutet ein stark saurer Geschmack in aller Regel eine Pitta erhöhende Wirkung. Bei Amlaist das anders: Im Mund ist zwar „sauer“ vorherrschend, doch nach der Verdauung dominiert „süß“.
So entsteht insgesamt die Tendenz, Pitta zu dämpfen; die erhitzende wandelt sich in eine kühlende Grundwirkung. Amla ist eine der seltenen Pflanzen, in denen fünf von den sechs Geschmacksrichtungen (Rasas) vertreten sind: süß, sauer, scharf, bitter und herb. Nur salzig fehlt. Die Gunas (Eigenschaften) von Amla sind trocken, spitz und schwer.

In Europa gibt es Amla vor allem als Feinpulver (Churna) zu kaufen, auch als Extrakt-Tablette und Fruchtmus (Chyavanprash). Amla ist eine der drei „Königsfrüchte“ im berühmten Verjüngungsmittel (rasayana) Triphala.

Die Vitamin-C-Kontroverse

Amla wird ein hoher Vitamin-C-Gehalt nachgesagt. Das betrifft allerdings nur die frische Frucht. Die Behauptung, das Vitamin C der Amla Frucht wäre thermostabil, ist unrichtig. Im Fruchtmus Chyavanprash, das während der Herstellung erhitzt wird, lässt sich kein Vitamin C nachweisen. Ein hoher Vitamin-C Gehalt der frischen Frucht oder eines kalt getrockneten Fruchtpulvers könnte schon eine Reihe der Amla zugeschriebenen Wirkungen erklären, etwa anti-oxidative Effekte, Stärkung des Immunsystems, vielleicht ein gewisses Potential zur Krebsvorbeugung.
Es ist mittlerweile wenig zweifelhaft, dass manche Tannine in Amla stärkere anti-oxidative Effekte haben als Vitamin C. Dies wird auch durch den Nachweis eines extrem hohen ORAC -Wertes bei bestimmten Amla-Pulvern bestätigt (ORAC = Oxygen Radical Absorbance Capacity). Viele der segensreichen Effekte beruhen wohl auf Antioxidantien in der Frucht.

Antioxidantien neutralisieren die gefährlichen freien Radikale, die beispielsweise durch psychische und physische Überbelastung, schlechte Ernährung oder Umweltgifte entstehen. Freie Radikale schädigen die Zellen, beschleunigen das Altern und fördern viele Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose und Herzprobleme. Antioxidantien, wie sie sich in Amla finden, bekämpfen diesen „oxidativen Stress“ und wirken deshalb genau entgegengesetzt: Sie verteidigen die Unversehrtheit der Zellen, verlangsamen das Altern und schützen vor vielen Krankheiten.

Amla im wissenschaftlichen Test

Das antioxidative Potential von Amla konnte in zahlreichen Versuchen demonstriert werden.

Belege, dass Amla gut für Herz und Kreislauf ist, fand S. Khanna in einer Human-Studie mit übergewichtigen Erwachsenen. Amla-Extrakt über 12 Wochen verbesserte den Spiegel von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Cholesterol und von Markern wie C-reaktivem Protein, das einerseits bei Entzündungen erhöht ist, bei ansonsten Gesunden aber auch auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinweist. Weitere Studien an Tieren und Menschen berichten ähnliche Resultate. Einer Studie von W. Duan mit molekularen Markern zufolge könnte Amla auch Arteriosklerose vorbeugen. Bei Bluthochdruck fand J. Bhatia, dass Amla-Extrakt Dosis-abhängig Blutdruck und Herzrate herabsetzte und den Spiegel vieler krankheitstypischer Moleküle normalisierte. Die Effekte erklärten die Autoren zum Teil als Folge antioxidativer Aktivität von Amla- Bestandteilen.

Auch zur Krebsvorbeugung könnte Amla beitragen, lässt sich immer wieder lesen, vielleicht gar zur Linderung und Heilung. Wissenschaftliche Ergebnisse in diese Richtung machen Mut zum Weiterforschen. S. Mahata untersuchte beispielsweise, ob und wie Amla in krebs-fördernde molekulare Prozesse eingreifen kann. Amla-Extrakt dämpfte die Aktivität eines Proteins (Aktivator-Protein 1), das an der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beteiligt ist.
Ebenso behinderte Amla das Wachstum von Papillomavirus-induziertem Krebs in Gewebe aus dem Gebärmutterhals, wahrscheinlich indem Moleküle aus Amla das molekulare Ablesen des Virus störten. J.K. Jose entdeckte, dass Amla-Extrakt das Wachstum von Tumorgewebe aus Mäusen behindern kann, und zwar wahrscheinlich, indem Stoffe im Extrakt mit Enzymen wechselwirken, die den Zellzyklus regulieren. Doch das Problem „Krebs“ ist bekanntlich ein Kosmos. Und bevor ein mögliches heilsames Potential von Amla beim Menschen belegt und verstanden ist, bleibt noch viel zu erforschen.

Weitere Studien ähnlich den beschriebenen sprechen dafür, dass Amla etwa Bakterien effektiv bekämpft, das Immunsystem stärkt und viele Organe vor Schäden schützt, dass Amla heilsam wirkt bei Entzündungen, Reiz- und Krampfhusten, Verdauungsstörungen und Verstopfung, Magengeschwüren, Überfunktion der Schilddrüse und vielem mehr.

Die gesammelten Forschungsergebnisse sind eindrucksvoll und unterstützen ayurvedische Vorstellungen von Amla als quasi omnipotenter Superfrucht durchaus. Allerdings beinhalten die Studien vor allem Untersuchungen biochemischer Prozesse oder Experimente an Tieren, deren Aussagekraft begrenzt und vorläufig ist. Umfangreiche und teure Studien am Menschen, wie sie bei der Arzneimittelforschung üblich sind und nach heutigen Standards als wissenschaftlicher Beweis gelten, stehen noch aus.

Welches Fazit lässt sich ziehen? Ayurvedische Lehren zu den Wirkungen der Amla-Frucht beruhen auf sorgfältiger Beobachtung und langer Erfahrung, die als solche einen enormen Wert und viel Überzeugungskraft haben. Wissenschaftliche Studien unterstützen bisher weit- gehend die Vorstellungen aus dieser reichen Tradition, wenn es auch bis zum strengen Beweis in aller Regel noch ein weiter Weg ist.


Heft 49 – Detox auf ayurvedisch

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