In den letzten Jahren wächst das Interesse an Ayurveda in der Öffentlichkeit rapide. Medien berichten von der wohltuenden und heilsamen Wirkung des ältesten medizinischen Systemes.
Hierbei wird Ayurveda zumeist mit sinnlichen Ölungen zur Steigerung des Wohlbefindens, Streßabbau und Entspannung assoziiert. Massagestudios eröffnen wöchentlich, Physiotherapeuten, Yoga-Institutionen, Kosmetikerinnen und Wellness-Institute integrieren ayurvedische Ölmassagen in ihr bestehendes Programm. Diese Entwicklung gibt Anlass, die Bedeutung der ayurvedischen Massagetechniken im klassischen Ayurveda zu hinterfragen und ihren tatsächlichen Einsatz in der medizinischen, kosmetischen und entspannungsorientierten Arbeit für Europa zu erläutern.

Zunächst möchte ich den Begriff „klassischer Ayurveda“ definieren. Daunter versteht man die Inhalte der international anerkannten authentischen Literatur, die in den letzten etwa 2700 Jahren in Sanskrit verfasst wurden. Man unterscheidet zwei Gruppen von Textsammlungen (Sanskrit „Samhita“), deren Inhalte in der heutigen Praxis sowohl im Ursprungsland Indien als auch in Europa synergistisch genutzt werden.

Einsatz von Snehana

Der Oberbegriff für Ölungen in der Sanskrit-Sprache ist „Snehana“. Dieser wird in der Literatur in zwei Gruppen unterteilt: innere Ölung („Abhyantara Sneha“) und äußere Ölung („Bahya Sneha“). Ayurvedische Massage stellt einen Zweig der äußeren Ölungen dar und wird vorwiegend in zwei Bereichen beschrieben – zum einen als Empfehlung zur Gesunderhaltung in der täglichen Routine („Dinacarya“), zum anderen als Vorbehandlung („Purvakarma“) vor Ausleitungsverfahren zur Elimination überschüssiger milieubelastender Stoffe. Diese Ausleitungsverfahren werden unter dem Begriff „Panca Karma“, den fünf reinigenden Handlungen, detailliert beschrieben. Die fünf Exkretionsverfahren können zusammenhängend als Kurbehandlung oder ambulant auch als einzelne Therapiebausteine Anwendung finden.

Klassische Einteilung der äußeren Ölungen:

1. Abhyanga

Unter dem Begriff „Abhyanga“ werden alle Körpermassagen mit Öl zusammengefasst. Werden nur einzelne Körperteile massiert, setzt man den Namen des behandelten Körperteiles vor Abhyanga (bsp. „Pad-Abhyanga“ für die Fußmassage, „Mukh-Abhyanga“ für die Gesichtsmassage). Man unterscheidet 2 Typen von Abhyanga:

Mardana (Druckmassage)
Die Druckmassage kommt bei allen größeren Stauungen der Säfte (bsp. Blut und Lymphe) zum Einsatz, wirkt stärker mobilisierend und stellt daher eine optimale vorbereitende Technik vor Ausleitungsverfahren dar.

Samvahana (leichte, sanfte Massage)
Diese sanfte Form der Massage wirkt eher besänftigend, gleicht das vegetative Nervensystem aus und kommt vorwiegend bei Vata-dominierten Konstitutionen und -Erkrankungen zum Einsatz.

2. Ölung der Sinnesöffnungen

Gandusha (Ölkauen)
Das Ölkauen wird auch in der europäischen Naturheilkunde traditionell empfohlen. Hierdurch wird das Geschmacksempfinden verbessert und lipophile (fettlösliche) Toxine aus der Mundschleimhaut gebunden. Daher sollte nach der Ölung eine intensive Spülung sowie das Putzen der Zähne erfolgen. Die Zeitdauer beträgt klassisch so lange, bis sich Sekretionen aus Augen und Nase einstellen, praktisch jedoch etwa 10-15 Minuten.

Karana Purana (Ölfüllung der Ohren)
Das Füllen der Ohren mit mediziniertem Öl pflegt das Hörorgan und besänftigt überschüssiges Vata, welches Störungen wie Hörschwäche oder Ohrgeräusche erzeugen kann. Heutzutage ist diese Füllung unter HNO-Ärzten umstritten, da es bei starker Sekretion zu Verklebungen vor dem Trommelfell kommen kann. Daher sollte vor regelmäßigem Gebrauch ein Experte zu Rate gezogen werden.

Akshitarpana (Ölung der Augen)
Das Füllen der Augen mit medizinier-tem Fett (meist Ghee) wird zur Vorbeugung von altersbedingten Sehstörungen eingesetzt, lindert übermäßige Wind- und Lichtempfindlichkeit sowie Rötungsneigung der Skleren. Auch hier sollte vor Einsatz ein Experte befragt werden.

3. Parisheka-Öldusche

Diese Behandlung stellt eine Kombination aus intensiver Ölung und schweißtreibender Therapie dar. Moderne Untersuchungen konnten belegen, dass durch diese Art der Ölung fettlösliche Toxine wie bsp. Holzschutzmittel gebunden und ausgeschieden werden konnten. Aufgrund des hohen Aufwandes und der damit verbundenen Kosten kommt Parisheka (syn. Pizhichil) nur selten zum Einsatz.

4. Murdha Taila

Kopfölung als Shirobasti (Ölfüllung in einen Lederhut)
Diese besondere Form der Kopfölung kommt u.a. bei schwerwiegenden Erkrankungen des ZNS (Zentralnerven-system) wie Epilepsie und bei Bluthochdruck sowie schwerer Migräne zum Einsatz. Eine starke Wirkung bei neurotischen und psychotischen Krankheitsbildern lässt sich ebenfalls beobachten.

Shirodhara (Stirn-Ölguss)
Die wohl bekannteste der ayurvedischen Ölanwendungen. Der Stirnguss wirkt sich vorwiegend auf das vegetative Nervensystem aus und hilft bei Schlafstörungen, innerer Unruhe und Anspannungen, Bluthochdruck sowie Kopfschmerzsyndromen.

Shiroabhyanga (Kopfmassage)
Die Indikationen für die ayurvedische Massage und Ölung des Kopfes ähneln denen des Shirodhara.

Picu (Auflegen eines in Öl getränkten Tuches)
Eine Behandlungsform, die häufig vor einer Körperanwendung durchgeführt wird. Die Wirkung hängt von der Auswahl des entsprechenden Öles ab.

Behandlungen ohne Öl

Bekannt geworden sind hier Behandlungen wie etwa Massagen mit Rohseide („Gharshana“) oder Körperpeelings („Udvartana“).
Liegen Stoffwechselerkrankungen bzw. Rückstände nicht verarbeiteter Substanzen im Körper vor, darf im Ayurveda Öl als Medium für die Massage nicht verwendet werden. In diesen Fällen kommen anregende Trockenbehandlungen zum Einsatz. Dies gilt gleichermaßen für alle Kapha-dominierten Erkrankungen wie Fettleibigkeit, spezifische Hauterkrankungen und Störungen mit Vorherrschen von Schleim. Rohseide oder auch Körperpeelings mit trockenen Pulvern und Samen (z.B. Senf oder Kresse) regen die Zirkulation an, fördern den Lymphabfluss und die Durchblutung und wirken fettreduzierend.

Massage als Bestandteil und Vorbereitung für Panca Karma Kuren

Abschließend sei gesagt, dass die beschriebenen Massagetechniken nicht als eigenständige Therapieformen zu verstehen sind, sondern zum Ablauf einer Panca Karma Kur gehören. Diese dauert in der Regel 3 – 4 Wochen und besteht aus systematisch aufeinander abgestimmten Behandlungen von vorbereitenden, ausleitenden und regenerierenden Maßnahmen – denn Panca Karma ist mehr als Wellness-Öl­massagen.


Heft 02 – Massagen im Ayurveda

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