Die Wirkung von Räucherwerk auf Körper und Psyche hat ein großes Potential, das im Ayurveda intensiv genutzt wird

Mitte der siebziger Jahre traf ich einen Parfümeur an der Princess Street in Mumbai. Er erzählte mir, wie er Dutzende von Erdproben aus ganz Indien destilliert hatte – ohne dass er bislang zufrieden mit dem Ergebnis war. Schließlich mischte er einem Destillat aus roter Erde eine ganz leichte Note Sandelholz bei – et voilà – es ergab ein erstaunlich duftendes Resultat.

Der Geruch der Erde ist besonders sinnlich, erinnert an Äther, Wind, Feuer und Wasser. Manchmal nur – wie nach einem Sommergewitter – nehmen wir die faszinierende Süße der Erde wahr. Dass ich nicht der einzige bin, der nahezu süchtig nach diesem Duft ist, realisierte ich erst, als ich diesen indischen Parfumeur traf. Die nächsten Wochen wanderte ich in der Sommerhitze durch die Straßen Mumbais mit einem Lächeln auf den Lippen, das vom Duft des kleinen Parfumflakons in meiner Brusttasche  her-rührte. Diese Faszination führte mich bald in das chaotische Dickicht der Altstadt. Dort auf einem schmalen Fußweg, der Lakshmi Narayana Temple Lane, traf ich einen Verbündeten in Ratilal Premji Agarbattiwala – in Indien hängt man oft den Beruf an den Namen an. In diesem Fall – Agarbattiwala, was „der Mann, der Räucherstäbchen macht“ bedeutet.

Zusammen kreierten wir 1976 die „Radha Krishna Temple Incense“ Linie mit wunderbaren, sinnesbetörenden Duftnoten von Mogra, Champaka, Sandelholz, Patchoulie und Vetiver. Mit diesen Düften wollten wir sozusagen den Geist einfangen. Im Ayurveda wird diese Funktion des feinstofflichen Körpers als Manas bezeichnet. Manas nimmt alle Sinneseindrücke wahr, reagiert direkt darauf oder leitet diese an das zentrale Nervensystem weiter. Wenn sich Menschen oder Tiere durch einen Duft bedroht fühlen, flüchten sie – die Reaktion ist unmittelbar.

Wenn der Duft dagegen als angenehm empfunden wird, löst er eine ganze Reihe von glücklichen Erinnerungen oder ausschweifenden Phantasien, möglicherweise sogar ein spirituelles Erlebnis aus. Man möchte sich der Natur, der Schöpfung nahe fühlen, sich über das Alltägliche hinwegsetzen. Das mag die Idee hinter einem „Temple Incense“, dem Sandelholz, das in zarathrustischen Tempeln dem Feuer geopfert wird, dem Weihrauch in den Kirchen oder den Kräutern bei schamanischen Ritualen sein.

Die Wirkung von Rauch auf Körper und Psyche umfasst aber ein viel größeres Potenzial, das im Ayurveda intensiv zur Anwendung kommt.

Nutzer von Räucherstäbchen in nördlichen Ländern sollten allerdings zwei Dinge unbedingt beachten. Einerseits muss auf die Reinheit der Zutaten geachtet werden. Wenn auf einer indischen Verpackung draufsteht: „Natural Scent“ – dann ist damit gemeint, dass es wie das Original riecht, beispielsweise nach Rosen und nicht, dass es natürliches Rosenöl enthalten muss. Andererseits wird Incense in Indien generell in offenen Räumen genutzt.

In einem „Minergie Haus“, wo kein Lufthauch nach innen oder nach außen gelangt, sind Räucherstäbchen nur sehr bedingt und nur in gut durchlüfteten Räumen einzusetzen. Selbst wenn die Zutaten natürlich sind, werden sich bei der Verbrennung Teer und andere uner-wünschte Stoffe freisetzen. Das gilt auch für andere Methoden der Verbrennung, die viel Rauch produzieren.

Beim Einsatz von Ritualen oder Opferzeremonien geht es nicht primär darum, einen angenehmen Effekt für die Sinne zu erzeugen, sondern um die Reinigung eines Raumes, den inneren Raum – unseren Körper – oder den äußeren Raum, von potential negativen Schwingungsfeldern. Wenn wir die eingesetzten Substanzen in Ost und West, Nord und Süd aus phytotherapeutischer Sicht analysieren, werden wir schnell fündig. Pflanzen wie Weihrauch, Myrrhe, Salbei oder Sandelholz besitzen starke antiseptische Wirkung.

Zusätzlich trägt das Windelement grundsätzlich zu einer schnelleren Wundheilung und Blutstillung bei. Die Geburtsheilkunde oder Trauma-Behandlung sowohl im Ayurveda wie auch in anderen naturheilkundlichen Systemen sind ohne Räucherwerk gar nicht denkbar. Antibiotika haben diese traditionelle Funktion weitgehend abgelöst. Aber wer weiß, wie lange noch? Vielleicht steht der medizinischen Räucherung bald eine Renaissance bevor.

Im Ayurveda wird Räucherwerk auch heute noch auf breiter Basis eingesetzt. Der Geruchssinn wird dem Erde Element zugeschrieben. Wenn aber Rauch produziert wird, dann kommt vor allem die leichte und austrocknende Wirkung zum Einsatz: Kapha wird reguliert; Rauch hat also eine starke schleimlösende Funktion. Wichtige Einsatzgebiete eröffnen sich bei den Anti-Kapha-Therapien wie Vamana (therapeutisches Erbrechen) oder Nasya (Nasenschleimhaut-Therapie). Wenn Duftöle oder Kräuter mit Wasserdämpfen vermischt werden, erweitern sich die Anwendungsmöglichkeiten auf Vata-Kapha und Pitta-Kapha Indikationen. Die Grundregel dabei ist, dass die bekannten Wirksubstanzen im Ausgangsmaterial primär zum Tragen kommen.

Für den täglichen Einsatz im Haushalt eignen sich möglichst natürliche Räucherwaren in relativ einfachen Mischungen oder als Monosubstanzen. Denn wenn eine Unverträglichkeit festgestellt wird, dann weiß man sofort, was in Zukunft zu vermeiden ist. Ein Bündel getrockneter Salbeipflanzen aus dem Garten ist ideal für ein Schutzritual in Haus und Hof. Ein paar Körner Weihrauch, Myrrhe oder Kieferharz auf einem Sieb mindestens eine Handbreit über einem Teelicht ausgebreitet, schützt den Raum vor Pilzbefall, wirkt Kapha regulierend, antibakteriell und bewirkt eine gute Schwingung. Blütenessenzen wie Rose, Vetiver oder Jasmin besänftigen emotionale wie körperliche Überhitzung, wirken Pitta regulierend. Hölzer und Rinden wie Zimt oder Zeder wirken wärmend und stimulierend, das heißt primär Kapha und sekundär Vata regulierend.

Anis, Fenchel, Basilikum, Limonen-, Zitronen- oder Orangenschalen eignen sich gut, um Fliegen, Mücken und andere Insekten zu vertreiben. Dazu legt man die getrockneten Bestandteile in einer Räucherpfanne auf glühende Holzkohle, fächert mit einer Feder nach Bedarf Luft zu, um in kurzer Zeit möglichste viel Rauch zu produzieren. Nach einer kurzen Einwirkzeit muss der Raum gut durchlüftet werden.

Für die Raumbeduftung sollte auf alle Fälle auf synthetische Duftstoffe verzichtet werden. Die Halbwertzeit solcher Moleküle ist ungeheuer lang und kann vom menschlichen Organismus meist gar nicht abgebaut werden. Dazu zählen auch die sogenannten hormonellen Disruptoren (EAS), die auch in geringen Mengen die Gesundheit schädigen. Wenn Ihnen ein Duft unsympathisch vorkommt, dann vermeiden Sie diesen. Dazu ist ja der ureigene, souveräne Geruchssinn da. Umgeben Sie sich nur mit Ihnen angenehmen und bekannten Duftstoffen – das wird ein Lächeln auf die Lippen zaubern.


Heft 48 – Im Fluss des Lebens

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